Jungen fürs Mutterherz

■ Not Angels but Angels dokumentiert einen Schwulenstrich

Ein Glas oder eine Zigarette lässig in der Hand schauen sie gerade in die Kamera und erzählen aus ihrem Leben, von ihrer Arbeit. Rund ein Dutzend jugendlicher Stricher zwischen 14 und 20 läßt Wiktor Grodecki in seinem Dokumentarfilm Not Angels but Angels ihre Erfahrungen am Prager Hauptbahnhof schildern. Wo und wie sie gefilmt wurden, durften sie selbst bestimmen. Entstanden sind daraus berückende und eindrucksvolle Selbstinszenierungen. Wie eine Diva räkelt sich Robert lasziv im Schaumbad, während er von seinen Freiern berichtet. Roman schaut durch den Glaskasten eines Glücksspielgeräts, in dem ein Greifarm vergeblich nach Plüschtieren angelt.

Die Offenheit, mit der die Jugendlichen Grodeckis Fragen beantworten – auch zu Details der Arbeit am Kunden – kann ihre wahren Emotionen nicht verdecken. Immer wieder verrät sie ihre Körpersprache. Erfahrungen haben sie alle reichlich, und doch wirken sie nicht verdorben, sondern irgendwie rührend unschuldig. Verblüffend groß ist die Spannweite der Charaktere: vom überlegenen Janet Jackson- Double über biedere Jungs; von der Großstadtratte bis zur Landpomeranze; von hübsch bis häßlich ist alles im Angebot auf dem Prager Schwulen-Strich. Wenn es ums Geschäft geht, sind sie alle Profis, die genau wissen, was wieviel kostet. Aids, ihre finanziell ungesicherte Zukunft, solche Probleme lassen die „Engel“ nicht an sich ran.

Schade, daß der Film so wenig über ihre Lebensumstände erzählt. Über ihre Wohnverhältnisse redet nur der Loddel ausführlich, ein nervöser junger Mann, der reichlich Platz zur Selbstdarstellung bekommt, ohne kritischen Fragen ausgesetzt zu sein. Die Freier kommen in der Dokumentation nur als Klischee vor, als Zwischenschnitt tauchen die geilen alten Herren auf, als gäbe es keine Freier unter 40. Dabei bleibt die Kamera oft statisch und klebt zu dicht an den pickligen Gesichtern. Es genügt nicht, eine Reihe guter Fragen an einem Dutzend Jungen abzuarbeiten. Auch ein Dokumentarfilm braucht eine Dramaturgie. Iris Schneider

täglich, 3001, 20. 30 Uhr