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Natürliche Rivalität ja, aber ...

■ Vor dem Lokalderby HSV – St. Pauli: Streitgespräch mit Fan-Vertretern über Rivalität, Opfer-Rollen und gegenseitige Provokationen

Vor dem Lokalderby am Sonntag um 18 Uhr hält sich die Aufregung in Grenzen. Normalität regiert. Von Christian Reichert, stellvertretender Abteilungsleiter des 2 500 Mitglieder starken „HSV Supporters Clubs“, und Holger Scharf, Sprecher der „Arbeitsgemeinschaft interessierter MitgliederInnen“ des FC St. Pauli (AGiM), wollte die taz wissen, wie „normal“ das Verhältnis der Fan-Gruppen inzwischen geworden ist.

taz: Uwe Seeler hat gesagt, daß Rivalität zwischen den Vereinen gut sei. Wie steht Ihr dazu?

Holger Scharf: Gegen eine natürliche Rivalität ist nichts einzuwenden. Die sollte man erhalten. Es darf aber nicht so weit gehen wie beim vorletzten Derby, als HSVer meinten, sie müßten die Rivalität mit Fäusten austragen.

Christian Reichert: Die absolute Mehrheit der HSV-Fans befürwortet keine Gewalt. Wir wollen mit Hooligans nichts zu tun haben. Die meisten HSV-Anhänger möchten genauso wie ihr nur eines: Spaß im Stadion. Rivalität finde ich gut. Darauf beruht ja die ganze Faszination, die wir beim Fußball empfinden. Keiner würde mehr zu den Spielen gehen, wenn wir pro Spieltag neun Verbrüderungsfeste hätten.

Was ist mit Sprüchen wie „HIV“ oder „Deutsche wehrt euch, geht nicht zu St. Pauli“?

Reichert: Da würde ich nicht mitsingen, aber auch nicht einschreiten.

Scharf: „HIV“ finde ich auch bescheuert. Aber „Deutsche wehrt euch“ ist ein Nazi-Spruch. Dahinter steckt eine bestimmte Geisteshaltung. Dagegen muß man angehen.

Reichert: Ja, aber nicht im Stadion. Dort steige ich nicht in eine politische Diskussion ein. Prävention wäre hilfreicher. Etwas anderes sind rassistische Parolen gegen Spieler. Da würde ich sofort dem Betreffenden den Mund verbieten.

Scharf: Wo ist für Dich der Übergang zwischen Rassismus und Faschismus bei einem Spruch wie „Deutsche wehrt euch“?

Reichert: Du glaubst doch nicht wirklich, daß das alles Faschisten sind, die das rufen.

Scharf: Aber sie tragen ein bestimmtes Gedankengut nach außen oder sind gedankenlos oder brüllen etwas Diskriminierendes mit, ohne zu wissen, was sie da machen. Bei uns gibt es das nicht, weil die soziale Kontrolle funktioniert. Zum Beispiel gab es vergangene Serie in der Nordkurve (des Wilhelm-Koch-Stadions; die Red.) Tendenzen, ausländische Spieler zu beschimpfen. Da sind wir mit Leuten vom Fanladen hingegangen und haben den Schreihälsen klargemacht, welche Konsequenzen das haben kann. Seitdem halten die ihr Maul.

Reichert: Und was ist mit „Lieber tot als ein Volkspark-Idiot“? Das finde ich geschmacklos.

Sonst gelten die St.-Pauli-Fans ja als besonders originell und einfallsreich. Sind die HSV-Anhänger nicht deshalb neidisch?

Reichert: Das würde wohl kein HSV-Fan freiwillig zugeben.

Scharf: Das Image ist uns nicht zugefallen. Das haben wir uns erarbeitet. Wir haben eben den Vorteil, daß wir Ironie beherrschen. Den Text von „Wir sind schlau, denn wir sind Fans vom HSV“ kennen wir aus dem effeff. Auch „fünf, sechs, sieben – Kevin Keagan“ kommt immer gut an.

Reichert: Damit provoziert Ihr aber, um zu Märtyrern zu werden. Wer mit Ironie arbeitet, muß wissen, daß es Menschen gibt, die dafür kein Gespür haben. So demonstrierst Du vielen Leuten eine scheinbare intellektuelle Überlegenheit. Wenn sich jemand auf Ironie nicht einlassen will oder nicht versteht, gibt es schnell böses Blut ...

Scharf: ... und manche HSVer kloppen dann blind drauf los.

Die Opfer scheinen immer St. Paulianer zu sein. Oft hat es den Eindruck, als ob die FC-Fans diese Rolle ganz bewußt einnehmen, auch zur Legitimierung der eigenen Identität. Seid ihr die „Avantgarde der leidenden Massen“?

Scharf: Gerade dieses „Immer-Opfer-Sein“ stinkt vielen Leuten. St. Pauli-Fans sind friedlich, die halten lieber die dritte und vierte Backe hin, bevor sie sich wehren – das ist ein Image, mit dem ich meine Probleme habe.

Warum?

Scharf: Weil ich nicht immer Opfer sein will. Aus diesem Opfer-Dasein kommt man aber sicherlich nicht raus, indem man sich der gleichen Mittel bedient wie die anderen – also Schläge und Prügel, wie wir es in Rostock erlebt haben. Andererseits muß man sich wehren, wenn man angegriffen wird.

Solche Jagdszenen wird es am Sonntag vermutlich nicht geben. Insgesamt scheint die Brisanz aus dem Lokalderby raus zu sein. Was erwartet Ihr für ein Spiel?

Reichert: Vom Zuschauerinteresse wird es ein ganz müder Kick. Vielleicht kommen 35 000 (bei den beiden vorigen Derbys waren es jeweils über 50 000; die Red.).

Scharf: Bei dem Spiel sieht man eindeutig die Volkspark-Allergie der St. Pauli-Fans. Das ist ein Zeichen an unser Präsidium, sich endlich einmal zu fragen, ob es eine gute Idee ist, noch drei Rückrundenspiele im Volksparkstadion auszutragen.

Reichert: Und ein Beweis, daß der FC St. Pauli seine letzte Legitimation verloren hat, in der Bundesliga zu spielen: Das Derby bringt kaum mehr Einnahmen als ein Heimspiel gegen Duisburg.

Scharf: Wir haben Euch die Europapokal-Teilnahme gegönnt.

Reichert: Wieso?

Scharf: Jetzt spielt Celtic Glasgow (mit dem den FC eine Fan-Freundschaft verbindet; die Red.) in Hamburg. Aber eine UEFA-Cup-Runde reicht für den HSV.

Fragen: Clemens Gerlach/ Sönke Mones Fotos: Rudolf Meyer

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