: Ohne Hatz ins Vergnügen
■ Beim vor 36 Jahren gegründeten MC "Berliner Osten" geht's vor allem familiär zu, gemütliche Feiern sind genauso wichtig wie die Orientierungsfahrten mit dem Privatauto
Wer in Berlin aktiv Motorsport betreibt, muß wohl vom chaotischen Stadtverkehr noch nicht genug bedröhnt sein. Oder aber zuviel, so daß der Wille, seinem unterforderten PS-Mobil endlich mal die Sporen geben zu können, kaum mehr zu zügeln ist. Wen der ewige Stau zur Raserei treibt, der ist beim MC „Berliner Osten“ allerdings falsch. Dessen Mitglieder lassen sich nicht von ungebremstem sportlichen Ehrgeiz oder gar Rennwahn lenken. Ihr Freizeit- Verbrauch bewegt sich vielmehr im Drittelmix Wettkampf/Wegfahren/Feten.
Der Verein existiert seit 36 Jahren. Zu der Zeit war Berlin noch ungeteilt, weshalb der Klubname nichts anderes bedeutet als eine Ortsbestimmung. Weil damals auch der sozialistische Nachwuchs am S-Bahnhof Mahlsdorf der beliebten Freizeitbeschäftigung des Rumgammelns frönte, machten sich einige Leute Gedanken, dem abzuhelfen. Am 11. Juni 1960 gründeten sie in Privatinitiative einen Klub für Motorradfahrer. Insofern ein ungewöhnliches Ereignis, weil der Motorsport in der DDR sonst stets an Trägerbetriebe gebunden war.
Zunächst wurden – in Ermangelung von Autos – ausschließlich Motorrad-Trails, also Geschicklichkeitsfahrten über Stock und Stein, von den Jugendlichen veranstaltet. Die erste Vereinskrise gab es (wie die Chronik vermerkt), als der erste Klubvorsitzende die „männlichen Jugendlichen zum freiwilligen Eintritt in die NVA zu bewegen versuchte“. Die Folge waren Tumulte, Mitgliederaustritte und die Abwahl des Chefs bei der nächsten Gelegenheit. Ansonsten jedoch verstand sich der Verein keineswegs als Hort verkappter Widerständler, wie mancher DDR-Funktionär argwöhnte. „Einen Wimpel mit dem ,anrüchigen‘ Klubnamen hatten wir immer im Auto“, erinnert sich Klaus Heinen. „Dahinter wurde oft eine Provokation von uns vermutet. Schließlich hieß es ja offiziell immer: Berlin, Haupstadt der DDR.“ Ost-Berlin war hingegen kein geographischer, sondern ein politischer Terminus des westlichen Klassenfeindes.
Daß der nicht mal die Pannenhilfe auf sozialistischen Wegen wert ist, bekamen die Freaks vom MC „Berliner Osten“ in den 60er Jahren zu spüren. Sie hatten kurzzeitig auf den Autobahnen rund um Berlin als eine Art Gelbe Ost- Engel fungiert und dabei verbotenerweise auch Westdeutschen und Westberlinern im Fahrzeug-Notfall geholfen. Doch da verstand die DDR-Obrigkeit keinen Spaß, obwohl sie über ihre Verkehrspolizei sonst sogar mit dem privaten Motorsportverein zusammenarbeitete: Die sogenannten Weißen Mäuse der Verkehrspolizei hielten Vorträge über Verkehrssicherheit und erlaubten zudem, daß der Klub eine eigene Mopedfahrschule gründen durfte. Die brachte immerhin etwas Geld in die von keinem Sponsor-VEB gefüllte Kasse.
Obwohl der Motorsport in der DDR nur eine relativ bescheidene technische Basis hatte, lag er nicht völlig am Boden. Einen kleinen Teil trug der MC „Berliner Osten“ dazu bei, indem er auch schon mal privat eine Rallye für ganz Ost- Berlin organisierte. Überhaupt zeigten sie sich als Meister im Improvisieren, erdachten sich unter anderem eigene „Bildersuchfahrten“ – ähnlich dem Geländeorientierungslauf. Inzwischen heißen die zwar etwas sportlicher „Wertungsfahrten“, aber das Prinzip ist geblieben. Mit Karte, Kompaß und Kompagnon wird nach Zielpunkten wie Denkmälern und Kirchen gesucht. Außerdem findet ein Geschicklichkeitstraining statt. Allerdings braucht man als Preise nicht mehr wie früher Mangelwaren aus der Sparte Autoersatzteile (Wagenheber, Rückfahrscheinwerfer usw.) auszuloben.
Beibehalten wurde nach der Wende neben den Wertungsfahrten auch der weniger verbissene sportliche Ansatz. „Wir wollen nicht wild durch die Gegend rasen oder Pokale einfahren, sondern uns vor allem erholen“, sagt Horst Giese, der mit seinen 46 Jahren das ungefähre Durchschnittsalter der Klubmitglieder hat.
Daß unter ihnen so wenig junge Leute sind, hängt wohl auch damit zusammen, daß man hier eben nicht den Bleifuß trainieren kann. Nicht einmal große Motorsportveranstaltungen wie die Avus- Rennen besucht der Klub. Mitglied Angelika Banse würde sich jedenfalls von der pauschalen Kritik an den umweltfrevelnden Motorsportlern wenig getroffen fühlen. Schließlich sei das Auto in ihrem MC kein Heiligtum, es werde auch mal auf dem Parkplatz abgestellt, wenn Wanderungen auf dem Programm stünden. Es ist eben alles auf größtmögliche Familientauglichkeit ausgerichtet. Was Ernsthaftigkeit bei der Organisation des Hobbys nicht ausschließt.
Die Wertungsfahrten werden nach wie vor gewissenhaft in Eigenregie organisiert, mit Streckenposten usw. Da die Klub-Flotte inzwischen völlig vom Motorrad aufs Auto umgerüstet ist, gibt es auch kein Problem, daß teilweise ganze Familien mitmachen. Sehr familiär geht es aber nicht nur bei den Fahrten zu. So richtig auf Touren kommen die Motorsportler auch gern bei den Klubfeiern, ob Fasching oder Jahresabschlußball. Außerdem gibt es Oster- und Silvesterfahrten, allerdings mittlerweile ohne Trabbis, da nur einer den großen Fahrzeugaustausch im Klub- Fuhrpark als Zweitwagen überlebte. Vor der Wende war es umgekehrt. Da hatte der DDR-Volkswagen als einzige Westkonkurrenz einen Golf und einen Volvo.
Daß der MC „Berliner Osten“ das Gegenteil eines elitären Vergnügungsvereins begüterter Rennsportfreaks geblieben ist, beweist nicht zuletzt die rund 60köpfige Mitgliederschar. Vom Lehrer bis zum Arbeitslosen ist alles dabei. Das hatte dem Motorsportklub beim ADAC anfangs den Ruf eines Kaffeekränzchenvereins eingebracht. Inzwischen wuchs auch dort die Erkenntnis, daß Motorsport nicht erst da beginnt, wo mit viel Geld hochgezüchtete Motoren um die Wette heulen. Gunnar Leue
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