Brenner-Dekape will seine Hobbys loswerden

Anton Brenner hat in Tübingen eine kleine Druckerei, einen Verlag, einen Weinberg – und Berufsverbot. Denn eigentlich wollte der ehemalige Kommunist immer nur Lehrer werden. Nun versucht er's mit prominentem Beistand erneut  ■ Von Philipp Maußhardt

Das Bekennerschreiben des Studienreferendars an das Oberschulamt Tübingen klang fast unterwürfig: „Jederzeit“ werde er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und alle Bestrebungen, die dagegen gerichtet seien, „nicht unterstützen“. Es hat seinem Absender nichts genützt. Der Tübinger Religionspädagoge und Germanist Anton Brenner (46) wurde 1977 nach seinem Referendariat an einer gewerblichen Berufsschule nicht in den Schuldienst übernommen, weil er Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) war.

Der „Vorgang“ ist zwar fast 20 Jahre alt und könnte zusammen mit den anderen 291 Berufsverbotsakten in Stuttgart verstauben, doch hat das Oberschulamt im Fall Brenner einen „Fehler“ gemacht: Der angebliche Verfassungsfeind Brenner wurde erst „bedingungslos“ als Referendar eingestellt und dann doch noch entlassen. Die Sekretärin hatte versehentlich auf dem Vordruck den Passus „sofern sich aus Ihrer Überprüfung durch das Innenministerium keine nachteiligen Erkenntnisse ergeben“ durchgeixt und der Oberregierungsschulrat seinen Namen darunter gesetzt. Damit, so glaubt der Anwalt Brenners, Rüdiger Diez, sei sein Mandant mit dem Fall von Dorothea Vogt vergleichbar.

Der 46jährigen Lehrerin Vogt aus dem ostfriesischen Jever hatte der Europäische Gerichtshof in Straßburg in der vergangenen Woche eine satte Entschädigung für die ihr entgangenen Lehrerbezüge zugesprochen. Zuvor schon hatten die Richter festgestellt, der Radikalenerlaß sei nicht mit der Menschenrechtskonvention der Europäischen Union vereinbar.

Wie Dorothea Vogt war auch Brenner allein die Mitgliedschaft in der nicht verbotenen DKP zum Vorwurf gemacht worden. Dabei war Brenner im kleinen Tübinger Parteisprengel nicht einmal besonders aktiv und mehr U-Boot als Schlachtschiff. Einem Rausschmiß wegen seiner Kritik an der DDR kam er durch Austritt zuvor.

Sein Fall hatte Ende der siebziger Jahre aber auch deshalb für bundesweites Aufsehen gesorgt, weil zum ersten Mal die katholische Kirche den Radikalenerlaß für ihre Lehrerlaubnis übernahm. Obwohl unzählige kommunistische Priester in Frankreich, Italien und Lateinamerika ihre politische Überzeugung mit ihrem Glauben in Einklang brachten, entzog der damalige Rottenburger Bischof dem Religionslehrer Brenner die „Missio Canonica“. Bis nach Rom pilgerte Brenner anschließend und forderte Gerechtigkeit. Doch der Papst blieb stumm.

Statt dessen fand im bischöflichen Ordinariat zu Rottenburg eine „Anhörung“ über den Religionsunterricht statt, die an karnevalistischen Höhepunkten ihresgleichen suchte. Mehrere Professoren der Theologie, Oberschulamtsbürokraten und ein leibhaftiger Prälat versuchten, ihren Gottesbegriff mit dem des Kommunisten Anton Brenner auf einen Nenner zu bringen. Das klang im angefertigten Sitzungsprotokoll dann so: „Herr Brenner wirft Herrn Silvers vor, daß es nicht wahr sei, daß er in der zweiten Stunde eine Textvorlage im 6. und 7. Buch Mose und einen Text von Karl Marx behandelt habe ... Herr Silvers wirkt sehr erregt ... Professor Suset fragt hierauf, ob sich Herr Brenner nicht in seinen Stunden einfach zuviel Stoff vorgenommen habe ...“ Das Protokoll der denkwürdigen Sitzung endet nach zehn Seiten abrupt, weil, wie der Protokollführer im Bischöflichen Ordinariat noch gerade schreiben kann: „... ich die Diskussion nicht mehr ertragen konnte“.

Aus dem abgelehnten Lehramtskandidaten ist in 20 Jahren ein Kleinunternehmer geworden, der im Untergeschoß eines Tübinger Einkaufszentrums einen gutgehenden Copy-Shop und eine Kleindruckerei unterhält. Er bindet Magister- und Diplomarbeiten, und manch einen seiner heutigen Kunden kennt er noch aus der Zeit, als sie bei ihm in die Schule gingen. „Und dorthin will ich zurück“, sagt er, „ich wollte nie etwas anderes werden als Lehrer.“

Das muß man spätestens dann glauben, wenn Brenner den Schrank öffnet, in dem all die Briefe, Anträge, Klagen und Antwortschreiben lagern, die den unermüdlichen Kampf des Bewerbers um eine Lehramtsstelle belegen. Lothar Späth, Willy Brandt, Helmut Kohl – keiner wurde ausgelassen, um bei der Beseitigung des Unrechts mitwirken zu sollen. Nur zeitweise schien es in den vergangenen Jahren so, als habe Brenner resigniert. Da war es ruhig um ihn geworden. Er vergrub sich im Untergeschoß seiner Druckerei, gründete einen Kleinverlag und gab von Zeit zu Zeit Bücher heraus, die so schöne Titel trugen wie: „Heimat, süße Heimat“ oder „Grundsätze der richtigen Behandlung der Trauben“. Zuletzt erschien in Brenners „Schwäbischer Verlagsgesellschaft“ ein Reprint des von Sigmund Freud herausgegebenen Sexualreports „Privatdruck – Nur für Gelehrte“.

Doch es war nur Hobby. Jetzt steht Brenner erneut am Aktenschrank und sortiert Briefe ein, die nur einen Inhalt haben: Lehrer werden. Seit der erfolgreichen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof sieht er wieder eine Chance und hat auch schon prominente Mitstreiter gefunden. Für ihn, so ließ die SPD-Rechtsexpertin und Tübinger Bundestagsabgeordnete Herta Däubler-Gmelin wissen, werde sie ihren Anwaltstalar entmotten und vor Gericht mitplädieren.

Brenner hat beim Verwaltungsgericht nun eine Klage eingereicht. Er will, daß der Widerspruchsbescheid gegen seine Anstellung durch das baden-württembergische Kultusministerium aufgehoben wird. Beim selben Gericht in Sigmaringen liegen bereits die Klagen anderer abgelehnter Lehrer, die durch den renommierten Arbeitsrechtler Jörg Stein vertreten werden. Stein will für seine Mandanten nicht nur die Einstellung in den Schuldienst erwirken, er klagt auch auf Entschädigung durch die entgangenen Lehrerbezüge.

Nach dem Vogt-Urteil des Europäischen Gerichtshofs werden nun gleich mehrere deutsche Gerichte entscheiden müssen, ob dieser Einzelfall die Wiederaufnahme ähnlicher Fälle rechtfertigt. Denn anders als Vogt waren die meisten vom Berufsverbot betroffenen Lehrer erst gar nicht als beamtete Referendare in den Schuldienst übernommen worden und erhielten schon nach dem ersten Staatsexamen ihren Ablehnungsbescheid.

Nun hat das baden-württembergische Kultusministerium im Fall Brenner eine neue, sehr witzige Begründung gefunden, um ihn doch nicht wieder einstellen zu müssen: Seine Noten, teilte die Behörde mit, genügten den heutigen Anforderungen nicht mehr. Vor knapp 20 Jahren hätten sie es aber, sagt Brenner, und das allein zähle. Damals wäre er mit seinem Notendurchschnitt eingestellt worden, das Berufsverbot war der einzige Hinderungsgrund. Zuletzt bat Brenner nun die Kultusministerin Annette Schavan, ihm eine Liste derjenigen Schulleiter zu überlassen, die mit ihrer Note von damals heute noch eingestellt würden. „Sie wird“, glaubt er, „sehr kurz sein.“

Die Weinbauern im nahen Wurmlingen, wo Brenner nebenbei einen kleinen Weinberg betreibt, sind da toleranter. Der „Brenner-Dekape“, wie die Bauern ihn der Einfachheit halber und zur besseren Unterscheidung von anderen Brenners nennen, sei zwar ein „roter Hund“, aber „schaffa“ könne er. Unterhalb der von den Dichtern Ludwig Uhland und Nikolaus Lenau besungenen Kapelle wächst Brenners Wein, die „Rote Kapelle“, ein gewöhnungsbedürftiger Tropfen, aber mit Liebe gemacht. Demnächst ist Ernte. Brenner will ein paar Flaschen auf die Seite legen – für das Fest seiner Wiedereinstellung in den Schuldienst.