piwik no script img

Belgische Minister lassen morden

Ein anonymer Zeuge beschuldigt zwei weitere Politiker, in den Mordfall Cools verwickelt zu sein. Vielleicht haben die Ermittler aber auch nur alte Spuren wieder aufgenommen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Das Karussell der Verdächtigen im Mordfall André Cools dreht sich immer schneller. Nach der Verhaftung des ehemaligen wallonischen Ministers Alain Van der Biest ist nun ein weiterer Exminister in den Verdacht geraten, 1991 am Mord an dem damaligen Parteichef der wallonischen Sozialisten, André Cools, mitgewirkt zu haben. Ein anonymer Zeuge soll den ehemaligen Innenminister der Region Wallonien, Guy Mathot, schwer belastet haben. Der Zeuge will angeblich noch einen dritten hohen Politiker kennen, der an dem Komplott beteiligt gewesen sein soll.

Der 63jährige Cools war am 18. Juli 1991 vor dem Haus seiner Freundin erschossen worden. Schon damals fiel der Verdacht auf seinen politischen Ziehsohn Van der Biest, der mit Cools zunehmend in Konflikt geraten war. Auch der Name Mathot tauchte immer wieder in diesem Zusammenhang auf. Cools soll nach Angaben eines engen Vertrauten seine sozialistischen Parteifreunde im Verdacht gehabt haben, statt in die Parteikasse in die eigene Tasche zu wirtschaften.

Polizei und Staatsanwaltschaft, die nach dem Mord an Cools ermittelten, stießen damals auf Bestechungsgelder der italienischen Rüstungsfirma Agusta. Agusta hatte für einen Rüstungsauftrag der belgischen Armee umgerechnet rund fünf Millionen Mark in die Kassen der flämischen und der wallonischen Sozialisten gezahlt. Als das vor zwei Jahren bekannt wurde, mußten eine Reihe von Ministern, darunter auch Guy Mathot, den Hut nehmen. Der flämische Sozialist Willy Claes trat deswegen von seinem Posten als Nato- Generalsekretär zurück.

Doch in der Mordsache selbst kamen die Ermittler nicht weiter. Erst jetzt, genau am 3. September, soll der anonyme Zeuge, über den halb Belgien rätselt, die entscheidenden Hinweise gegeben haben. Die Mitarbeiter von Van der Biest legten inzwischen Teilgeständnisse ab und beschuldigen den Minister als Drahtzieher des Mordes. Die belgische Polizei will inzwischen auch die Namen der beiden Auftragskiller, zwei aus Italien geholte Tunesier, herausgefunden haben.

Als Motiv wird vermutet, daß die Minister Teile der Agusta- Spende abgezweigt haben und Cools dahinterkam. Statt Bargeld sollen in der Parteikasse ein Stapel italienischer Schatzbriefe angekommen sein, die sich als gestohlen und damit wertlos herausstellten. Cools soll damit gedroht haben, die Sache auffliegen zu lassen.

Viele dieser Hinweise sind seit langem bekannt oder geistern als Bruchstücke seit Jahren durch die belgische Presse. Selbst der Ministerpräsident der Region Wallonien, Guy Spitaels, der wegen des Agusta-Skandals zurücktreten mußte, wurde öffentlich mit dem Mord an Cools in Verbindung gebracht. Der Verdacht gegen ihn wie gegen Mathot und andere kam und ging, ohne daß die Polizei Ergebnisse präsentierte. Es gibt deshalb Zweifel, ob der anonyme Zeuge soviel Neues beigetragen hat oder ob die Ermittler nicht vielmehr angesichts der aktuellen Kritik an Polizei und Justiz alte Spuren wieder aufgenommen haben.

Der Anwalt der Familie Cools hat gestern in einem Schreiben an den König Albert II. die Aufhebung der Immunität von Exjustizminister Melchior Wathelet gefordert. Wathelet, inzwischen Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, kam in Verruf, weil er für die vorzeitige Haftentlassung des wegen Kindesmißbrauchs verurteilten Marc Dutroux verantwortlich ist. Dutroux hatte danach mindestens sechs Mädchen entführt und für Pornovideos mißbraucht. Nur zwei Mädchen wurden lebend wieder gefunden.

Die Familie von Cools wirft Wathelet vor, sich in die Ermittlungen eingemischt und die Aufklärung behindert zu haben. Sowohl im Fall Cools wie auch im Fall Dutroux gibt es Hinweise, daß Polizei- und Justizbeamte Verdächtige gedeckt haben, was ohne Schutz von oben kaum vorstellbar ist. Der Leiter der Sondereinheit „Cools“, Raymond Brose, mußte wegen eines solchen Verdachts zurücktreten. Doch es scheint, daß in der allgemeinen Hysterie diesmal der Falsche erwischt wurde. Vor zwei Tagen wurde Brose zurückgeholt, er soll die Cools-Ermittlungen wieder aufnehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen