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Zeichen gegen Helmut Kohl setzen

Sonntag sind in Niedersachsen Kommunalwahlen. Die SPD hielt einträchtige, letzte Reden  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

„Glückauf! Bitte wählen Sie die soziale Ungerechtigkeit am kommenden Sonntag ab!“ So beendete Oskar Lafontaine am Donnerstag seine Rede auf dem Opernplatz. Der Wahlkampf der SPD in Niedersachsen ist aus.

„Abwählen“ könnten die Hannoveraner am Wochenende allenfalls ihren im 25 Jahr amtierenden SPD-Oberbürgermeister, und der Vorwurf der „sozialen Ungerechtigkeit“ ließe sich ebensogut auch gegen die niedersächsische, die Schrödersche Sparpolitik erheben. Aber so hat es der SPD-Parteivorsitzende am diesem Abend natürlich nicht gemeint: „Wer, wie die Regierung Kohl, den Reichen neun Milliarden Vermögenssteuer erläßt und gleichzeitig beim Kindergeld kürzt, gehört überall in der Republik abgewählt“, hat er eingangs zum Jubel der vielleicht drei-, viertausend SPD-Anhänger seiner Rede ausgerufen. Mit Gerhard Schröder schäkerte er vorher demonstrativ auf der Tribüne herum. Ihre Differenzen benennen die beiden Konkurrenten nicht mehr öffentlich, doch gibt es sie weiterhin.

Gegen die sozialversicherungsfreien 590-Mark-Jobs zog Lafontaine zu Felde, weil die vor allem Frauen um ihre Rentenansprüche bringen. Die Schröder-Regierung will diese Jobs keinesfalls „zusätzlich belasten“, will sie sogar noch ausbauen. „Steuergerechtigkeit“ mahnte Lafontaine an. Die Bezieher hoher Einkommen müßten endlich Steuern zahlen, statt in sinnlose Abschreibungsobjekte zu investieren.

Schröder aber kann nach eigenem Bekunden „das Wort Besserverdienende nicht mehr hören“. Der Staat müsse eingreifen, damit die Industrie endlich Ausbildungsplätze zur Verfügung stelle, forderte Lafontaine. Schröder jedoch ist strikt gegen eine Ausbildungsplatzabgabe und hat sich deswegen bereits mit der eigenen Landtagsfraktion angelegt. Selbst der Vermögenssteuer, die Lafontaine gern gegen Bonn ins Feld führt, hat der Niedersachse schon vor langer Zeit im Plenum seines Landtags ade gesagt.

Den Zuhörern auf dem Opernplatz servierte Schröder am Donnerstag abend allerdings nicht die Differenzen zu seinem Vorsitzenden, sondern den kleinsten gemeinsamen SPD-Nenner. Schließlich hatten beide Ministerpräsidenten gerade im Bundesrat das Bonner Sparpaket abgelehnt, gegen „Kürzung der Lohnfortzahlung“, gegen „Reduktion des Kündigungsschutzes“ und „ein Zwei- Klassensystem in Gesundheitswesen“ gestimmt. Die Arbeitenden und die Arbeit dürfe man nicht weiter belasten, variierte Schröder einmal mehr seinen Hauptslogan „Erst die Arbeit“. Dann rief er in schöner SPD-Eintracht die Wähler auf, „mitzuhelfen, daß die Politik des Sozialabbaus in der Bundesrepublik gestoppt werden kann“.

Da konnte auch der Hannoveraner Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg über „den Rückenwind aus Bonn“ schwärmen. Er will sich am Sonntag direkt wählen lassen. Nach der niedersächsischen Landesverfassung ist dies jetzt möglich. Sollte er gewinnen, will er nicht mehr nur ehrenamtlicher Bürgermeister sein, sondern als hauptamtlicher zugleich auch Verwaltungschef sein. Vielleicht muß er dazu in acht Tagen noch einmal in eine Stichwahl. Aber mit einer Überraschung bei den Bürgermeisterwahlen in Hannover rechnet eigentlich niemand. Der Grünen- Kandidat Pico Jordan will bei einem zweiten Wahlgang zur Schmalstieg-Wahl aufrufen. Die CDU-Bürgermeisterkandidatin Rita Pawelski hat sich erfolgslos in einer populistischen Wahlkampagne für Sicherheit und Ordnung versucht. Schröder will bei den Kommunalwahlen erreichen, daß die SPD erstmals landesweit vor der CDU stärkste Partei wird. Denn natürlich sind diese Wahlen auch eine Testwahl für die Landtagswahlen 1998, die über die weiteren bundespolitischen Ambitionen Gerhard Schröders entscheiden werden.

Selbst Schmalstieg deklariert den heimischen Urnengang auf den Opernplatz zum bundespolitischen Test: „Setzen Sie bei den Kommunalwahlen am Sonntag ein Zeichen, damit Helmut Kohl 1998 aus dem Amt gejagt werden kann.“

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