: Rückzug in barocke Lieblichkeit
Im Spagat zwischen Nostalgietrip und modernen großstädtischen Allüren vergibt Potsdam die einmalige Chance, sich eine neue urbane Identität zu verschaffen. Die Stadt bevorzugt eine Etikettenfälschung statt einer neuen Mitte ■ Von Ansgar Oswald
Der Krieg und die absurde sozialistische Bilderstürmerei gegen die Zeugnisse des preußischen Staates haben mitten in Potsdam eine urbane Wüste hinterlassen. Wo bis 1945 die Repräsentationsbauten des alten Preußen der Stadt ihre unverwechselbare Silhouette verliehen, erstreckt sich heute ein gesichtsloser Raum. Ausfallstraßen, banale Plattenbauten und Restbestände der alten Bausubstanz bestimmen das Bild.
Der einst belebte Alte Markt mit seinen Cafés und Restaurants im Schatten der Hohenzollernresidenz ist heute ein öder Platz. Der bröckelnde Betonrasterbau der Fachhochschule, Schinkels Nikolaikirche, Altes Rathaus und die Blechkiste des Hans-Otto-Theaters ergeben mit der bemühten Parkidylle nichts weiter als eine museale Groteske.
Für Potsdam ist die Reparatur des alten Stadtzentrums eine städtebauliche Imagefrage und zugleich eine harte Auseinandersetzung mit seinem urbanen Selbstverständnis. Zwar hat die Stadt 1990 den Beschluß gefaßt, den historischen Stadtkern als Teil des kulturlandschaftlichen Arrangements zu reparieren, doch Potsdam droht zugleich mit seinen ehrgeizigen städtebaulichen Ambitionen an der Peripherie die Restbestände seiner Kulturlandschaft aufs Spiel zu setzen.
Aus dieser Spannung hat sich eine polemische Diskussion gegen die Moderne und eine Lobby für die historische Rekonstruktion der Stadt entwickelt. Horst Prietz, Doyen der Befürworter für einen originalen Wiederaufbau der Altstadt, erklärt: „Die anonyme moderne Architektur kann nicht im entferntesten ersetzen, was Potsdams städtebauliche Qualität einmal ausgemacht hat: die Komposition von Architektur und Landschaft.“
Um den Architekturstreit politisch zu beeinflussen, lud Potsdams Stadtbaudirektor Richard Röhrbein – gemeinsam mit dem Sponsor Groth und Graalfs – im September die Summer School der Urban Design Task Force des in London ansässigen Prince of Wales Institute of Architecture ein. Brian Hanson, Projektleiter des internationalen Workshops mit 22 Architekten und Studenten, glaubt mit der Methode der Task Force „die übliche Polarisierung zwischen dem konservativen und dem ,Avantgarde‘-Lager überwunden zu haben“. Ziel sei es gewesen, „Substantielles und Orginelles“ zu liefern.
In den Ergebnissen, die demnächst auch in Berlin präsentiert werden, sucht man letzteres vergeblich, denn die rund hundert in Aquarellen, Zeichnungen und Plänen festgehaltenen Ideen vermitteln den ganzen Charme aus Omas Fotoalbum: Alter Markt mit Hohenzollernschloß und Palazzo Barbarini, Garnisonkirche, Lustgarten, nette Bürgerhäuser. Alles atmet den Geist des alten Preußen – eine eklektizistische Abwandlung alter Baustile und ein kümmerlicher Versuch, an die Tradition der Potsdamer Kulturlandschaft anzuknüpfen.
Die ist insgesamt nichts anderes als ein grandioses Bühnenbild europäischer Baustile. Doch immer handelte es sich dabei um eine Übernahme zeitgemäßer Stilelemente. Die Bauweise im 19. Jahrhundert etwa, die Potsdam unter dem Einfluß von Karl Friedrich Schinkel und Ludwig Persius die florentinischen Villen bescherte, resultierte aus der Italiensehnsucht der Romantik. Insofern waren die Schöpfungen auf ihre Weise immer originell.
Die vorliegenden Entwürfe können dies keineswegs für sich beanspruchen. Ein Blick auf den Masterplan läßt keinen Zweifel daran, daß die Elemente zeitgenössischer Architektur und Stadtgestaltung nicht integriert, sondern zugunsten der alten räumlichen Konturen schrittweise beseitigt werden sollen. „Es geht um die Rekonstruktion der städtebaulichen Identität, des Verhältnisses von öffentlichem und privatem Raum“, die im historischen Vorbild hervorragend gelöst worden seien, begründet der luxemburgische Architekt Lucien Steil die Vorgehensweise.
Genau dies aber werten Kritiker als architektonische Entsorgung der Geschichte. Brandenburgs Exkulturminister Hinrich Enderlein etwa sieht darin die „Flucht in die Vergangenheit“ und eine „Bankrotterklärung der modernen Stadtentwicklung, der zeitgenössischen Architektur“.
Die gute Stube provoziert den Gegensatz. Auf der anderen Havelseite entsteht um den Bahnhof auf 88.000 Quadratmetern mit dem Potsdam-Center nicht nur ein kompletter neuer Stadtteil, sondern die „Visitenkarte der Landeshauptstadt“. Die Gegensätze zu den altbackenen Entwürfen für die Altstadt könnten nicht größer sein, aber die kürzliche Ratifizierung des Bebauungsplans für das rund 2 Milliarden Mark teure Projekt ist nur konsequent. Städtebaulich und für die Entwicklung urbanen Lebens aber ist der architektonische Gegensatz ein Fiasko.
Noch vor der Grundsteinlegung überschatten das Projekt wirtschaftliche Unwägbarkeiten. Ob die „Stadt in der Stadt“ mit Gleisanschluß als Klammer zwischen Potsdamer und Babelsberger Zentrum jemals ein Eigenleben entwickeln wird, bleibt fraglich. Allemal ist durch die Realisierung der schwelende Dauerkonflikt mit der Denkmalpflege zementiert. Denn mit einer Bruttogeschoßfläche von 190.000 Quadratmetern ist das postmoderne Stadtquartier in seiner Baumasse überdimensioniert und alles andere als dazu geeignet, die Kulturlandschaft zu bereichern. Daran ändern auch kosmetische Korrekturen nichts. Dagegen erscheinen die biederen Pläne für die Rekonstruktion der Altstadt lediglich wie ein Alibi.
Horst Winkelmann, Präsident des Unesco-Welterbe-Komitees, sieht durch das Potsdam-Center das jahrhundertelange Zusammenspiel von Architektur und Landschaft empfindlich gestört. Winkelmann kündigte an, man erwäge, Potsdam auf die rote Liste „Welterbe in Gefahr“ zu setzen.
Im Spagat zwischen Nostalgietrip und modernen großstädtischen Allüren vergibt Potsdam aber auch die einmalige Chance, sich eine neue urbane Identität zu verschaffen. Intelligente und entwicklungsfähige Ansätze hat es in früheren Konzepten zur Genüge gegeben. Die Landeshauptstadt, bemüht um eine weltoffene Haltung und darum, den Muff der preußischen Garnisonsstadt loszuwerden, versäumt es, ihre Potentiale als Universitäts-, Kulturund Medienstadt in die Gestaltung der neuen Mitte einzubringen. Statt dessen verpaßt sich die Stadt, die nicht mehr der Inbegriff Preußens ist, eine Etikettenfälschung.
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