: Exportierte Glückseligkeit
■ Die erfolgreichste und emphatischste Ausstellung in der Geschichte der Fotografie, "Family of Man" von 1955, wird im Berliner Haus der Kulturen kritisch revidiert
Die eine Familie, die wir angeblich alle sind, wurde kürzlich auf der Love Parade 96 in Berlin gefeiert. Eine Neuauflage der „Family of Man“, an die jetzt eine Gruppenausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst kritisch anknüpft, wollte „We Are One Family“ sicher nicht sein. Warum auch sollten sich die Technokids an diese Fotoausstellung des Museum of Modern Art (MoMA) aus den fünfziger Jahren erinnern?
Nur weil sie sich nicht erinnerten, möchte man im Gegenteil vermuten, funktionierte das Motto von Dr. Motte. Die „Family of Man“ stand von Beginn an unter Ideologieverdacht. Die Idee des Direktors der Fotografischen Abteilung des MoMA Edward Steichen, statt der Feindbilder die Verbundenheit aller Menschen in ihren Sorgen wie in ihren Freuden zu zeigen, statt des Zerstörerischen das Gute im Menschen und statt
Alibiveranstaltung im Kalten Krieg
Armut und Elend das Schöne in der Welt, wurde als Alibiveranstaltung einer Politik des Kalten Krieges, der Rassensegregation und der Ausbeutung der gerade aus den ehemaligen europäischen Kolonien hervorgegangenen sogenannten Dritten Welt kritisiert.
Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) allerdings hat einen guten Grund, sich an „Family of Man“ zu erinnern: Kurz vor dem Siegeszug des Fernsehens war die in mehreren Ausfertigungen weltweit wandernde Schau der wohl größte Ausstellungserfolg in der Geschichte der Fotografie. Die effektvolle Präsentation der Bilder als eine Art begehbares Foto-Essay stammte aus der Ausstellungspraxis des Bauhauses und der russischen Konstruktivisten, in der die Steichensche Inszenierung von Kunst mit den Mitteln der Werbung ursprünglich entwickelt worden war. Diese Strategie ist in unseren poststrukturalistischen, postmodernen Zeiten wieder aufgenommen worden – jetzt für eine Kunst, die den Nationenbegriff, die Rassen- und Geschlechterstereotypen hinterfragen will, für eine sozial und politisch engagierte Kunst.
Bedenkt man also die Derridasche Anmutung im Titel der NGBK-Ausstellung „Family Nation Tribe Community SHIFT“: Was erschiene aus einer dekonstruktivistischen Sicht reizvoller als im „verschobenen“ Gebrauch der Mittel der „Family of Man„- Ausstellung das zwischenzeitliche Gewahrwerden der Kritik, die sich an ihr entzündete, zu belegen? Eigentlich sollte nichts aussichtsreicher sein als dieser Ansatz.
Leider funktioniert er nicht. Seine Tücken sind größer als seine vermuteten Tugenden. Zeigte „Family of Man“ die Schönheit in der Welt, so zeigt „Family Nation Tribe Community SHIFT“ nun die Schönheit in der Kunst. Diese Kunst ist zu elegant, und ihre Kritik ist zu schön, um wahr zu sein: „Real Pictures“ nennt Alfredo Jaar seine Installation, die dem Blick zu sehen verweigert, was die Schrift ihn zu suchen auffordert. Denn Jaar hat seine fotojournalistischen Aufnahmen vom Völkermord in Ruanda in mit schwarzem Leinen überzogene und mit weißen Bildbeschreibungen bedruckte Archivschachteln gelegt, die er in strenge Reihen auslegt und zu hartkantigen Blöcken stapelt. Ja, man versteht seine Resignation vor der Schreckensbilderflut, die nichts bewirkt. Aber ist die Alternative zur Beliebigkeit der Nachrichtenbilder tatsächlich die Verschlußsache als Minimal art? Und hat Martha Rosler ihre enorme visuelle Intelligenz und ihre klugen, radikalen, politischen Analysen dokumentarischer Fotografie nicht schon an relevanteren Problemfeldern erprobt, als es die architektonische, soziale und symbolische Ödnis internationaler Flughäfen darstellt? Die Verfremdungsstrategie ihrer Bild-Text-Assoziation macht „In the Place of the Public“ wenig kritischen Sinn; das System, um mit Adorno zu sprechen, schlägt hier tatsächlich alles mit Ähnlichkeit.
Das gilt auch für die provokative Hochglanzästhetik von „The Blues“, der zu Recht geschätzten Arbeit von Mitra Tabrizian und Andy Golding, die in der Inszenierung von „Family Nation Tribe“ nicht mehr als der Stachel im Fleisch wirkt. Die britischen Künstler benutzen den aus der Werbe- und Modefotografie der frühen achtziger Jahre bekannten Melodramenstil, um die Rassen- und Geschlechterfrage aufzugreifen. Vielleicht kommt ihrer Fotoserie die schon mit den aktuelleren Trends arbeitende Serie „Faith Honor & Beauty“ von Aziz + Cucher in die Quere. Deren entindividualisierte, ihrer Geschlechtsmerkmale beraubten Computerclons von Menschen sind aber nur einen Augenblick lang interessant, auch wenn man ihr Mißtrauen gegenüber den neuen, unkontrollierbaren Zugriffsmöglichkeiten auf den menschlichen Körper teilt. Denn Aziz + Couchers gemorphte Heroen sind leider noch nicht einmal die Hardcore-Version dessen, was die Mainstream-Werbung jeden Tag zeigt.
Mit den Eltern Kaffee trinken und als Paar unter Palmen träumen geht bei Lovett/Codagnones Genreszenen vom schwulen Leben als kleinbürgerliche Selbstverständlichkeit problemlos mit der sadomasochistischen Ledermontur einher. Hier ist schließlich der Anschluß an die Familie der Love Parade gefunden und an den Verdacht, den deren vermeintlich fade Toleranz erweckt. Neuerdings steht Wolfgang Tillmans dafür, daß das nicht unbedingt der Fall sein muß. Tatsächlich ist sein „Milkspritz“-Computerdruck eine gewitzte Replik auf das Pathos der Geburt in Steichens Bilderschau.
Disneyworld und Stealth-Fighter
Am wenigsten davon betroffen, Werbung mit den Mitteln der Kunst für progressive Gesellschaftsentwürfe zu machen, obwohl man ihre Problematisierung meint, sind also die Arbeiten, die relativ direkt an „Family of Men“ anknüpfen. Bettina Allamoda hat sich seit Jahren mit der Geschichte des populären Ausstellungswesens befaßt. Ihre schlicht auf Plexiglas aufgezogenen, frei hängenden Sandwichfotos nehmen die Ausstellungsarchitektur der Menschheitsfamilie wieder auf und geben die Projektionsfläche frei für die Bilder einer konfektionierten Glückseligkeit. Unter ihnen sind aber diejenigen der heimlichen und offenbaren Katastrophen eines weltweiten Unterhaltungskriegsschauplatzes zu finden: Über der Disneyworld schwebt der Stealth-Fighter.
Diejenigen Fotos, die bei „Family of Man“ Österreich repräsentierten, greift Christian Philipp Müller auf. Das verblüffend hinterwäldlerische Treiben auf diesen Bildern ergänzt er um Broschüren, ein Video und ein Kleiderobjekt zum Trachtenkult und zur Trachtenkultur von heute. Der unaufwendige Eindruck seiner Installation hat gewinnende Züge, und er kennzeichnet gleichfalls die Foto- Installation Loring (Rockefeller) McAlpins, die zutreffend „Family of Mine“ heißt. Die Installation macht nicht nur die Verbindung der legendären Familie mit dem MoMA, seiner Fotoabteilung und Edward Steichen transparent, sondern weiß darüber hinaus einiges über das patriarchale Babysitting von Urgroßvater, Großvater und Vater mit dem Sohn auf dem Schoß zu sagen. Manchmal ist das Baby auch ein kleines Lincoln- Center im Modell oder eben ein kleines Museum, das sich – gleich seinen philanthropischen Mäzenen – einen großen Namen machen wird.
Will man bei dieser Metapher bleiben, dann hat „Family Nation Tribe Community SHIFT“ in der Form des Katalogs eine fürsorgliche und gut informierte Nanny zur Seite gestellt bekommen. Historische und theoretische Analysen ergänzen die künstlerischen Positionen im Ausstellungskonzept der fünfköpfigen NGBK-Ausstellungsgruppe und ihres Projektleiters Frank Wagner. Brigitte Werneburg
Bis 20. Oktober im Berliner Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10,
Katalog 34 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen