: Drei Sänger, eine Flöte
■ Luna-Park mit Ambient-Sound, Kunstfaser-Klangteppich: Die Uraufführung der Stockhausen-Oper "Freitag aus Licht" in Leipzig hat Elemente eines Krippenspiels
Am Anfang war die Bühne wüst und leer. Und der Komponist schwebte über Partitur und Mischpult und sprach: Es werde „Licht!“ Und – waaoouummm! – es ward „Freitag aus Licht“. Der erste Akkord der Oper erhebt sich mit dem Schrecken der Plötzlichkeit. Die raumfüllende Synthesizerwolke läßt die Herzen schneller schlagen, treibt den kalten Schweiß aus den Poren. Sie ist von dem Stoff, aus dem die Science-fiction-Breitwand-Epen sind. Nach diesem ersten ästhetischen Schock bleiben ungefähr zweieinhalb Stunden Zeit, sich wieder zu beruhigen. „Freitag aus Licht“ ist die jüngst vollendete Oper von Karlheinz Stockhausen und wurde letzten Donnerstag in der Oper Leipzig uraufgeführt.
Drei Sänger, eine Flöte, ein Bassetthorn (eine Klarinettenart) bilden, von einer zwischenzeitlich musizierenden Kinderschar und einem abschließenden Chor abgesehen, das ganze Instrumentarium. Durch zwanzig Kanäle wird elektronische Musik in den Raum projiziert. Sie erfüllt alle Merkmale dessen, was unter Jugendlichen „Ambient“ genannt wird: Ein ereignisarmer (Kunstfaser-)Klangteppich, ins schier Unendliche ausgerollt, frei von Rhythmik und zielgerichteter Entwicklung.
Von Zeit zu Zeit sind „Tonszenen“ eingeblendet, die auf der Bühne techno-humanoide Lebewesen aktivieren, an denen Stanislaw Lem seine Freude hätte. Zwölf Bewegungspaare, je ein Mann und eine Frau, stellen, mit überdeutlichen Geschlechtsmerkmalen ausgestattet, die fleischgewordene Abhängigkeit des Menschen zur Lust an Maschinen dar. Autofrau und Rennfahrer, Schreibmaschinerich und Photokopiermaschinin, Mondmädchen und Raketenmann und weitere Sexmaschinen – ein Luna-Park technifizierter Centauren. Kleine Orgiasmen von Bühnenbild, Kostüm und Tanz, ziemlich trendy von Johannes Conen auf der Bühne plaziert, ausstaffiert und beleuchtet, vom Choreographen Johannes Böning animiert. Metamorphosen der Lust und der Sucht illustrieren das Thema „Versuchung“ des Menschen und sein geradezu selbstverständlicher Sündenfall.
Weniger kontrastiert als konterkariert ist die bewegte Statik durchflochten von den Bedeutungsträgern, die in Kostüm, Gestik und Auftrag gnadenlos altbacken wirken. Im Zusammenspiel entwickeln sie die Dynamik eines Krippenspiels und entfalten ein Welt- und Menschwerdungsreigen um Eva (die Urmutter), Michael („der Cosmo-Creator“, einstmals Erzengel) und Luzifer („der Lichtfürst“, späterer Erzbösewicht). Ihre Missionen und Konflikte bleiben allerdings ebenso undurchsichtig wie ihre Herkunft und ihre Bedeutung. Allein ihr stocksteif- statisches Wesen deutet auf ihr symbolisches Schwergewicht hin und darauf, daß sie Allegorien der letzten Dinge sind: weder greifbar noch begreifbar, da hilft auch das Programmheft nicht weiter. Denn die Tagesoper „Freitag“ ist Bestandteil des Gesamtkunstwerks „Licht“ und, wenn überhaupt, nur innerhalb des Gesamtzusammenhangs zu verstehen.
„Licht“ ist Stockhausens ausgelebte Wagner-Phantasie. Wie dieser sieht Stockhausen in der Verschmelzung der Künste einen Weg, die Grenzen der Kunst zu einem neuen Menschsein hin zu überschreiten; eine Aufgabe, die den ganzen Künstler fordert. Und dabei gilt es, den großen Vorgänger noch zu übertreffen. Hatte dieser seinen „Ring des Nibelungen“ nur auf einen Zyklus von vier Opern, einer Tetralogie, angelegt, zielt Stockhausen höher: Sieben Opern sollen es werden, für jeden Tag der Woche eine. Vor rund zwanzig Jahren ward das Projekt begonnen, im Jahre 2003 soll die Heptalogie ihren Abschluß finden. Auch der geistige Hintergrund ist durchgestylt bis in die letzte Falte: „Die Hauptfarbe vom Freitag aus Licht ist Orange, Nebenfarben sind Hellgrün und Lackschwarz.“ Alles Orange? Ja, selbst das Papier des Programmheftes. In dem Bogenschlag vom mittelalterlichen Analogiedenken zu den Subtilitätskulten des New Age scheint die eigentliche Dimension von Stockhausens Vorhaben auf. Nicht allein ein Welterklärungsmythos darzustellen, sondern durch die Stiftung eines kosmologischen Zusammenhanges selbst die Rolle des Demiurgen zu besetzen. Frank Hilberg
„Freitag aus Licht“, Leipziger Oper
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