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Man trägt XXL

Nach der Fusion von NetHold und Canal+ beherrscht nun ein Dreigestirn das europäische Pay-TV  ■ Von Lutz Meier

Zwischen dem Aufkommen einer US-amerikanischen Mode und ihrer europäischen Imitation liegt erfahrungsgemäß etwa ein Jahr. So gesehen hätte die europäische Medienbranche ihre Augen nur auf den amerikanischen Sommer des letzten Jahres richten müssen, um zu erahnen, was ihr in diesem Jahr blüht. Es brauchte damals nur wenige Wochen im August, da war die Spitze des US-Marktes auf drei Mega-Player mit Schrägstrich-Namen zusammengeschnurrt. Man trägt XXL: „Merger“ heißt der Stil der Zeit, to merge bedeutet „verschmelzen, fusionieren“.

Auch in der alten Welt ist nun, nach einem Sommer der Paukenschläge, der Markt gründlich umsortiert. Vergangenen Freitag zauberte Pierre Lescure, Chef des französischen Canal+, mit der Ankündigung, Johann Ruperts NetHold zu schlucken, einen neuen europäischen Pay-TV-Riesen aus dem Hut. Der wird nicht nur den Fuß in Europas wichtigsten Bezahlfernsehmärkten haben. Er wird auch, was entscheidend ist, mit seinem Conditional Access (CA) auf dem Kontinent den Markt für das digitale Zugangs- und Verschlüsselungssystem beherrschen. Unklar ist, ob deshalb EU-Wettbewerbskommissar van Miert das Geschäft stoppen wird.

Auf dem deutschen Markt, dem lukrativsten, aber auch schwierigsten von allen, hat der 2-Milliarden-Dollar-Deal die Verhältnisse einmal mehr durcheinandergewirbelt. Während Bertelsmann und Kirch noch über eine gemeinsame Digitaltechnik verhandelten, rissen die Franzosen den Verhandlungsgegenstand kurzerhand an sich und werden das Problem nun im eigenen Haus lösen. Denn sowohl das Seca-CA-System, das Bertelsmann ursprünglich auf seiner „Mediabox“ einsetzen wollte, als auch das Irdeto-System, für das Kirch die deutsche Lizenz hat, gehören nun Canal+. Die Position der Bertelsmänner hat sich damit weiter verschlechtert. Ob sie die „Mediabox“ wie geplant im Oktober auf den Markt bringen, ist fraglich, und an ihr Digitalangebot „ClubRTL“ glaubt kaum jemand mehr: „Eventuell“ werde es kommen, so ein Sprecher.

Bertelsmann, der weltdrittgrößte Medienkonzern, der im April die Fusionssaison mit der Ankündigung, seine Ufa mit Luxemburgs CLT zu fusionieren, eröffnet hatte, ist nach einem Sommer der Niederlagen nun auf sein Stammgeschäft zurückgeworfen: Printprodukte sowie das werbefinanzierte Free-TV. Beim Pay-TV premiere hat der Konzern Kirch jetzt in der Minderheitenrolle (37,5 Prozent) abgelöst. Kirch und Canal+ (25 und 37,5 Prozent) haben nun in Deutschland weitgehend komplementäre Interessen. Anfang August hatten die Franzosen ihre enge Allianz mit den Bertelsmännern aufgekündigt, weil sie über deren panisches Management mehr noch als über die Konkurrenz durch die CLT-Fusion verärgert waren. Genüßlich läßt sich nun die Canal+-Spitze in Frankreichs Fachpresse über die Unprofessionalität der Bertelsmann-Manager aus. Premiere will, wie bekannt wurde, am Freitag in Berlin mit Digitalsendungen beginnen.

Ein Dreigestirn wird das Zukunftsgeschäft Pay-TV in Europa dominieren – wie es aussieht, ohne sich gegenseitig allzusehr Konkurrenz zu machen. Durch den Bund mit Rupert tritt Canal+-Chef Lescure praktisch in eine Männerfreundschaft des Südafrikaners mit Kirch ein, der mit Rupert und Italiens Silvio Berlusconi munter (Schein-)Beteiligungen austauschte, wenn es galt, Mediengesetze zu umgehen. Zu Kirch und Canal+ gesellt sich der Brite Rupert Murdoch, der zunächst den Bertelsmännern Freundschaft vorspielte, jetzt aber einen Aktientausch mit Kirch plant.

Das verwunderlichste am europäischen Sommer der Allianzen und Fusionen: Die US-Vorbilder blieben weitgehend außen vor. Bei NetHold stach Canal+ im letzten Moment den deutlich größeren Hughes-Konzern aus, der mit seinem Pay-Programm DirecTV immerhin zu General Motors gehört.

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