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Lauter keine Härtefälle

Fuhlsbüttler Gefangene klagen gegen Zwangsverlegung nach Schleswig-Holstein / Behörde stoppt Transport in letzter Minute  ■ Von Marco Carini

Der Transport wurde in letzter Minute gestoppt. Sieben in der Justizvollzugsanstalt Santa Fu einsitzende Langzeitgefangene sollten am heutigen Dienstag auf Initiative des Kieler Justizministeriums nach Lübeck-Lauerhof zwangsverlegt und später in andere schleswig-holsteinische Gefängnisse verteilt werden. Um die Rechte der Gefangenen kümmerten sich die Behörden dabei nicht: Die Knackis sollten nach Schleswig-Holstein abgeschoben werden, noch bevor ihre Widerspruchsfrist gegen den Verlegungsbescheid abgelaufen ist.

Erst als drei Betroffene gegen den erzwungenen Ortswechsel Widerspruch einlegten und die Medien informierten, lenkten die Justizbehörden in Kiel und Hamburg am Montag ein: sechs Gefangene werden in Hamburg bleiben, bis die Gerichte über die umstrittene Verlegung entschieden haben. Der siebte Inhaftierte darf seine Strafe nun ganz in Fuhlsbüttel verbüßen.

Grundlage für die angestrebte „Rückführung“ ist ein zwischen Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein 1993 geschlossenes Abkommen, mit dem ein Gefangenenaustauschprogramm zwischen den drei Bundesländern beendet wurde. Statt wie bis dahin üblich bestimmte Gefangenengruppen länderübergreifend unterzubringen, sollen sie fortan dort ihre Strafe absitzen, wo sie soziale Kontakte haben.

Doch bei den in Fuhlsbüttel einsitzenden Inhaftierten droht sich das Ziel der Vereinbarung ins Gegenteil zu verkehren. Ein Anstaltsbediensteter: „Bei den von der Rückführung bedrohten Gefangenen handelt es sich um Langzeitinhaftierte, deren Lebensmittelpunkt längst in Hamburg liegt.“ Sie haben sich in der Hansestadt soziale Bezüge aufgebaut, gehen hier zum Teil ihrer Arbeit nach oder nehmen an Therapiegruppen teil. „Die Wiedereingliederung“, so ein Gefängnis-Mitarbeiter, „würde durch die Rückverlegung um Jahre zurückgeworfen.“

Die Justizbehörden in Hamburg und Kiel scheren solche Prognosen nicht: „Wir haben jeden Einzelfall geprüft, um soziale Härten zu vermeiden“, betont Sabine Westphalen, Sprecherin der Hamburger Justizbehörde. Während bei 21 in Hamburg einsitzenden Gefangenen aus Schleswig-Holstein die Rückverlegung abgelehnt worden sei, habe man bei den sieben in Santa Fu Inhaftierten „keine Bedenken“ gehabt. Die Anstaltsleitung hatte zuvor kurzerhand Schleswig-Holstein zum Lebensmittelpunkt der Gefangenen erklärt. Die Betroffenen müssen nun auf die Gerichtsentscheidung warten, bevor sich ihr weiteres Schicksal entscheidet.

Der Gefangene Wolfgang G., seit acht Jahren in Haft, sieht deshalb seine Wiedereingliederung in Gefahr. Dem künstlerisch begabten Mann gelang es aus der Haft heraus, sechs Ausstellungen mit seinen Bildern zu organisieren; eine siebente wird übermorgen, am Donnerstag, im Altonaer „Haus 3“ eröffnet. Als Freigänger sollte er in einigen Jahren einen Platz an der Hochschule für bildende Künste bekommen.

Doch für Hamburgs Justizbehörden-Sprecherin Westphalen steht fest: „Hier liegt kein Härtefall vor.“

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