Katzenjammer bei Italiens Ligen

■ Nach dem Reinfall beim „Unabhängigkeitsfest“ hat Umberto Bossi Mühe, wieder zu seiner Rolle zu finden

Mailand (taz) – Nach dem Krieg der Vorankündigungen nun der Krieg der Zahlen: Waren es nur 20.000 bei der Abschlußkundgebung mit der „Taufe“ der neuen, unabhängigen „Republik der Poebene“, wie die Behörden sagen, oder doch 45.000, wie die Veranstalter, die Liga Nord, behauptet? Und umgekehrt: in Mailand 200.000, wie der Führer der Nationalen Allianz, Gianfranco Fini, für deren Gegendemo „Ein einiges Italien“ reklamiert, oder doch „nur“ 150.000, wie die Präfektur schätzt? Fest steht: Die anderthalb Millionen Menschen, die Liga- Führer Umberto Bossi für die Gründung des unabhängigen „Padaniens“ angekündigt hatte, kamen bei weitem nicht zusammen, auch wenn man all die anderen Veranstaltungen dazuzählt, die seit vergangenen Freitag das Verbringen der an der Poquelle in Pian del Re gefüllten Taufphiole nach Venedig begleitet haben. Da konnte er die Medien noch so sehr als „Welt des Betrugs“ geißeln – es waren einfach nicht so viele, wie er es wohl selbst geglaubt hatte.

Wunderlicherweise will Bossi nun glauben machen, daß in den zwecks „Referendum zur Unabhängigkeit“ an den Sammelpunkten aufgestellten Liga-Urnen mehr als eineinhalb Millionen Bürger ihre Zettel eingeworfen haben; aber mit dem Realitätssinn hatte es der Volkstribun aus dem Norden sowieso noch nie so recht. Und so will er das Projekt der Sezession weiterhin bis zum kommenden Jahr vollenden.

Manöverkritik jedoch nun allenthalben. Die Linke könnte sich in den Hintern beißen, daß sie nicht eine einzige gemeinsame große Gegenmanifestation organisiert hat. Lediglich die Grünen hatten den Po mit einem durch Ballons hochgeflatterten Seil zum „Ponte Alexander“ – nach dem voriges Jahr durch Selbstmord geendeten Mitbegründer der Bewegung Alexander Langer – überbrückt. PDS-Chef Massimo D'Alema hatte sich sogar nach den USA abgesetzt, um Smalltalk mit Politikern und dortigen Landsleuten zu treiben. Vermutlich hatten alle doch auf einen großen Erfolg Bossis gesetzt – und diesen durch Nichtbeachtung schmälern wollen. So war die Großdemo der neofaschistischen Nationalen Allianz das sichtbarste Zeichen des Unwillens über Bossi, und dies ausgerechnet in der „Hauptstadt der Bewegung“, in Mailand.

Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, den mit Bossi eine gewisse Loyalitätsempfindung verbindet, seit dieser während des Sturzes der Regierung Silvio Berlusconi dem seinerzeit schwer angegriffenen Staatsoberhaupt die Stange gehalten hat, geht inzwischen auch zu härterer Tonart über: Jetzt sollen sich die Staatsanwaltschaften um alles kümmern, speziell wegen der von Bossi für diese Woche angekündigten Bildung einer eigenen Nationalgarde.

Bossi hört's gern – nur so kann er das verlorene Macherimage ersetzen durch das des Verfolgten und Opfers „römischer Kolonialpolitik“. Werner Raith

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