Kommunen in der Finanzkrise. Weniger Einnahmen infolge sinkender Gewerbesteuern, mehr Ausgaben infolge einer zunehmenden Zahl von Sozialhilfeempfängern zwingen zum Sparen. Manchmal entsteht dabei eine „schlankere“ Stadtverwaltung, die effektiver und kostengünstiger arbeitet. Aber oft wird weitergewurstelt wie bisher Von Felix Berth

Im Würgegriff mieser Bilanzen

Jeder umsichtige Kommunalpolitiker in der bayerischen Provinz weiß, daß man sich mit manchen Honoratioren besser nicht anlegt: mit dem Pfarrer, mit dem Vorsitzenden des Sportvereins, mit dem Hauptmann der Feuerwehr. Allerdings kann diese Maxime gelegentlich zu einem bizarren Gerangel führen, wie im letzten Jahr in Hof zu beobachten war.

Dort stellte der Kämmerer im Herbst 1995 fest, daß in seiner Stadtkasse trotz neuer Kredite über 30 Millionen Mark fehlten. Gleichzeitig aber meldete die freiwillige Feuerwehr beharrlich ihren Anspruch auf eine neue hydraulische Drehleiter für einen ihrer Lkws an. Diese sollte ziemlich genau eine Million Mark kosten. Und das in einer Zeit, in der der Kämmerer von Hof ständig neue Minusrekorde melden mußte: Die Gewerbesteuer fiel zwölf Millionen Mark niedriger aus als erwartet, die Einkommenssteuer ging um drei Millionen zurück, die Sozialhilfe stieg in einem Jahr um zehn Prozent. Folglich mußte der Oberbürgermeister Dieter Döhla (SPD) schließlich im Dezember 95 verkünden: „Dem Bürger werden drastische Einschnitte in bisherige Leistungen und Standards abverlangt werden müssen.“

Daß Döhla mit „dem Bürger“ damals auch die Männer der freiwilligen Feuerwehr gemeint hat, scheint aus heutiger Sicht allerdings fraglich. Denn die Drehleiter samt Zubehör stand bald danach im Haushaltsplan für das Jahr 1996, als wüßte in Hof niemand, daß die Stadt zu den ärmsten in Bayern gehört, deren Schulden sich allein im letzten Jahrzehnt verdoppelt haben.

Die spendable Haltung zugunsten der Feuerwehr provozierte den Widerstand einer anderen Obrigkeit: der Bezirksregierung von Oberfranken. Sie kontrollierte kürzlich wie jedes Jahr, ob die fränkischen Städte korrekte Haushaltspläne abgeliefert hatten. Und stellte fest: Hof hatte das nicht geschafft. Gut 20 Millionen Mark Kredite wollte die Kämmerei aufnehmen, um damit andere Kredite zu finanzieren – was eigentlich verboten ist, damit eine Kommune sich nicht unbegrenzt verschuldet.

„Nicht genehmigungsfähig“, lautete das Urteil der Regierung über den Haushalt 96, weshalb jetzt zehn Millionen Mark eingespart werden sollen, etwa durch den Verzicht auf die Drehleiter, wie der Oberbürgermeister dem Stadtrat vor wenigen Wochen zerknirscht berichtete. Allerdings sei die Wiedervorlage des Themas schon geplant, sagt Gerd Groh, Amtsleiter der Hofer Kämmerei: „Wir werden die Leiter beim nächsten Haushalt wieder ins Gespräch bringen“, versichert er.

Fragt man ihn heute nach den „spürbaren Einschnitten“, die sein Oberbürgermeister „dem Bürger“ vor einigen Monaten angekündigt hatte, dann muß Gerd Groh ein Weilchen nachdenken, bis sie ihm einfallen: „Wir haben den Grünschnitt der Parks etwas reduziert. Die Zuschüsse an die Sportvereine und ans Stadttheater sind eingefroren.“ Eingefroren, sagt der freundliche Herr, nicht reduziert. Das Parken am Bahnhof koste heute immerhin 30 Pfennig pro Viertelstunde, und der Wagenpark der Stadt werde besser genutzt. Auch habe man freie Stellen im Rathaus kaum wieder besetzt, und jetzt wisse jeder in der Verwaltung, daß gespart werden muß. „Unsinniges wird jetzt überhaupt nicht mehr gefordert“, sagt Groh. Und ergänzt schnell: „Das klingt jetzt so, als sei früher viel Unsinniges gemacht worden.“ So sei das natürlich keinesfalls gemeint.

Trotzdem sollte man in Hof nicht den Eindruck bekommen, die Finanzkrise der Stadt sei ausschließlich selbstverschuldet. Denn dafür, daß die Hofer Textilindustrie kaum noch Gewinne macht und kaum noch Gewerbesteuer abliefert, können auch die spendablen Stadtväter nichts. Und daß die steigende Arbeitslosigkeit von Jahr zu Jahr mehr Sozialhilfe kostet und weniger Lohn- und Einkommenssteuer bringt, ist ebenfalls nicht vom Hofer Kämmerer zu verantworten. Nur die Art, wie die Stadt auf die Krise reagiert, paßt ganz gut zur Erfahrung des bayerischen Städtetags, daß sich manche Stadträte ungern auf die bevorstehenden schlechten Zeiten einstellen. „Viele Kommunalpolitiker haben das bisher einfach nicht wahrgenommen“, sagt Dieter Schwenk, der Finanzreferent des Städtetags.

Szenenwechsel nach Coburg, der benachbarten, gleich großen Stadt mit den wunderbaren Bilanzen. Hier kassierte der Kämmerer im letzten Jahr mehr Gewerbesteuer als erwartet. Auch die Ausgaben hielten sich in Grenzen, was dazu führte, daß sich die Pro-Kopf- Verschuldung nicht erhöht hat, sondern verringert. Das ist, wie der Kämmerer Manfred Galda zugibt, nur zum Teil sein Verdienst. „Wir haben hier eine günstige Wirtschaftsstruktur mit mehreren Branchen, die immer noch profitabel sind: Autozulieferer, Maschinenbauer und vor allem die Zentrale einer großen Versicherung.“ Industrielle Altlasten wie die Textilfabriken in Hof? „Gibt's hier nicht“, sagt Galda.

Trotzdem hört man erstaunt, daß die Stadt Coburg eine Verwaltungsreform versucht, die bei einer derart guten Haushaltslage nicht zu erwarten wäre. „Das ist nur möglich, weil in den Ämtern junge Chefs sitzen, die bei einem solchen Projekt mitziehen“, sagt Galda. Und wohl auch, weil Galda seit sechs Jahren einen Oberbürgermeister im Nachbarbüro sitzen hat, der gerade mal 36 Jahre und für unkonventionelle Lösungen zu haben ist. Wie hatte es der Experte vom Städtetag ausgedrückt? „Ob solche Reformen angepackt werden, hängt weniger vom Parteibuch ab als von Personen.“

Wie die Coburger Reform funktionieren soll, erläutert Galda mit der „Geschichte vom Aktenordner“. Das Materiallager der Coburger Verwaltung habe jahrelang speziell gefertigte Aktenordner bestellt, zum Preis von 18 Mark pro Stück. Nun habe man, sagt Galda, das zentrale Materiallager aufgelöst. Seitdem bestellt jedes Amt seine Ordner selbst und zahlt sie aus eigener Kasse. „Budgetierung“ heißt so was im Jargon der Reformer. Das Ergebnis: „Die Amtsleiter sorgen dafür, daß gefälligst Ordner für zwei Mark fünfzig angeschafft werden. Und überlegen, ob sie ihre Kugelschreiber vielleicht bei der Sparkasse besorgen.“

Auch beim Personal funktioniert Coburgs Sparkurs – zumindest in einigen Ämtern, in denen Manfred Galda eine neue Stellenpolitik durchgesetzt hat: „Wenn ein Posten frei geworden ist, fragen wir erst mal nach, ob das Amt ihn neu besetzen will.“ Verzichtet ein Amtsleiter, bekommt er im ersten Jahr das halbe gesparte Gehalt als „Belohnung“ zusätzlich für sein Budget. Will er den Job trotzdem wieder vergeben, muß der Behördenchef in einem neuen Gremium antreten, in dem Vertreter der anderen Ämter seinen Wunsch prüfen. Zumindest in einer kleinen Stadtverwaltung wie der von Coburg ahnen die Kollegen, ob die Stelle ohne Schwierigkeiten einzusparen wäre – und stellen entsprechend unangenehme Fragen. „Ich selber mußte mir schon mehrfach überlegen, wie ich in dieser Runde eine Stelle begründen sollte“, sagt der Kämmerer.

Selbst Coburgs Oberbürgermeister Norbert Kastner (SPD), der das Gremium initiiert hat, ist dort mit zwei Personalwünschen durchgefallen. „Mann, war der sauer“, grinst Galda. Doch wütend habe er schließlich das Ergebnis seiner eigenen Reformen akzeptiert.