: Wie Rheumadecken für RentnerInnen
Hamburger Spitzen-Sozis tingeln für die Europa-Währung ■ Von Florian Marten
„Der Euro kommt am 1.1.1999.“ Christa Randzio-Plath, Hamburger SPD-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Währungsausschusses, kannte kein Pardon: Der Euro kommt, allenfalls „Fragen“ sind noch erlaubt – so ihre Botschaft an die knapp 300 TeilnehmerInnen einer von der SPD-Fraktion im Europaparlament veranstalteten Konferenz zur Europäischen Währungsunion am Montag abend im Steigenberger-Hotel. Ihr Ziel in Hamburg, wie auch auf den übrigen Stationen der Euro-Werbe-Tour durch alle Bundesländer: Multiplikatoren überzeugen, Gegenargumente entkräften.
In Hamburg sprangen der bekennenden Euro-Freundin Randzio-Plath Haspa-Vorständler Jürgen Ullrich, DGB-Nordmarkchefin Karin Roth, Europa-Senator Thomas Mirow und Ex-Wirtschaftssenator Hans-Jürgen Krupp zur Seite, um die Segnungen der Europawährung zu preisen. Und das Quintett legte los, als gelte es Rheumadecken an RentnerInnen auf einer Kaffeefahrt loszuschlagen:
„Mit dem Euro kommt Europa zum Anfassen“ (Randzio-Plath) oder „mit dem Euro steht und fällt das Projekt Europa“ (Roth); „der Euro ist eine ökonomisch unverzichtbare Antwort auf die Globalisierung der Märkte“ (Mirow) oder „der Euro ist eine Existenzfrage“ (Krupp) – der Jubelchor auf dem Podium, dirigiert von NDR-Moderator Rolf Seelmann-Eggebert, kannte keine Dissonanzen.
Freilich, auf Bedenken eingehen, heißt den Umsatz steigern. So mahnte Jürgen Ullrich: „Wir haben eine Million Kunden. Und die Mehrzahl davon ist noch skeptisch.“ Fürsorglich nahm sich das Podium der SkeptikerInnen im Publikum an: „Gute Vorbereitung“ (Randzio-Plath), „genaues Lesen des Vertragstextes“ (Krupp), „eine europäische Tarifpolitik“ (Roth) und „ein Abbau des Demokratiedefizites“ (Mirow) könnten helfen, auch die letzten Risiken des Euro zu bewältigen.
Bedenken gab es reichlich: Steigen die Zinsen? Wird die Mark weich? Geht alles mal wieder auf Kosten der kleinen Leute? Steht der deutsche Sozialstaat vor einer Welle neuen Sozial- und Lohndumpings? Die Fünferbande mühte sich redlich – und teilweise sogar überzeugend: Die gegenwärtige Überbewertung der Mark, so ein zentrales Argument, richte weit mehr Schaden in Richtung dieser Sorgen an, als es der Euro je könne. Der Euro werde eine harte Währung, die dennoch gleichzeitig die spekulationsfreundliche, aber arbeitsplatzfeindliche Überbewertung der D-Mark beseitige. Nicht alle Sorgen wurden zerstreut, schließlich kauft auch nicht jedeR RentnerIn eine Decke.
Bei den anschließenden kostenlosen Häppchen, billiger also noch als bei der Kaffeefahrt, „über den Dächern von Hamburg“, waren sich dennoch alle einig: Der Euro kommt. Selbst Genosse und Anti-Euro-Populist Gerhard Schröder, freute sich Randzio-Plath, wird ihn nicht mehr ausbremsen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen