: „Lernen, damit zu leben“
■ Seltene Erbkrankheit Heredo-Ataxie / Selbsthilfegruppe hilft
Gerd Morbe war Anfang 20, als er begann unter Gleichgewichtsstörungen zu leiden. Als seine Hände sich immer mehr verkrampften und er nur noch mühsam sprechen konnte, mußte er seine Lehre als Bankkaufmann abbrechen. Wie viele Heredo-Ataxie-Kranke ist der 44jährige auf den Rollstuhl angewiesen. Heredo-Atxie ist eine seltene, erblich bedingte Erkrankung, die das zentrale Nervensystem angreift. Die Krankheit kann das Rückgrat angreifen und Seh-, Hör- und Sprachstörungen hervorrufen. So unterschiedlich die Arten von Ataxie sind, so unterschiedlich sind auch die Verläufe der Krankheit, die sich meist erst nach der Pubertät schleichend entwickelt. Bei Irene Techenten verschlimmerten sich die Symptome nach der Geburt der Tochter. Trotzdem hat die 50jährige bis vor zwei Jahren in ihrem Beruf als Orchesterleiterin gearbeitet, unterstützt wird sie von ihrer Familie. Gerd Morbe wird rund um die Uhr von Kräften der Assistenzgenossenschaft betreut. „Als die Krankheit damals bei mir ausbrach hat man mich in ein Heim gesteckt. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens“, erzählt Gerd Morbe stockend. Auch heute noch werden Heredo-Ataxie-Kranke z.T. in Altersheimen untergebracht, weil es keine speziellen Einrichtungen gibt. Die Selbsthilfegruppe befürchtet, daß diese Einweisungs-Praxis die ambulante Hilfe aus Kostengründen verdrängt. „Genetische Krankheiten sind so selten, daß sie schlecht diagnostiziert werden können oder falsch behandelt werden“, erklärt Doris Grunert vom Zentrum für Humangenetik an der Uni Bremen die Ratlosigkeit vieler Ärzte. Das Zentrum berät Patienten und vermittelt genetische Untersuchungen. Ca. 100 Betroffene gibt es nach Schätzungen der Selbsthilfegruppe in Bremen. Viele haben eine Odyssee hinter sich, bis ihre Krankheit richtig diagnostiziert wird. Irene Techenten: „Die ersten Jahre waren eine Katastrophe. Die Ärzte haben sich gestritten, was ich habe. Ich habe viele Diagnosen bekommen, wurde falsch behandelt, konnte nur noch im Bett liegen. Seit ich in der Gruppe bin, geht es mir besser“. Angeregt durch die Gruppe hat sie eine genetische Untersuchung durchführen lassen, mit der sich die Heredo-Ataxie sicherer bestimmen und behandeln läßt.
Unkenntnis über das Krankheitsbild herrscht auch bei den Krankenkassen. „Was für uns wichtig wäre ist z.B. Reiten, um den Gleichgewichtssinn zu stärken“, erläutert Irene Techenten. Aber diese Hippotherapien werden von den Kassen nicht übernommen. „Auf solche Mißstände müssen wir aufmerksam machen, genauso wie wir lernen müssen, mit einer nicht zu heilenden Krankheit zu leben“, sagt Gerd Morbe. Infos:Gerd Morbe, Wendtstr. 24, Tel: 705124.
Am 12.10. wird ab 17.00 im Gehörlosenfreizeitheim Schwachauser Heerstr. 266 das Gruppen-11jährige gefeiert. hof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen