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Flüchtlinge zwangsweise ins Heim

■ Senat will rund 10.000 Flüchtlinge in Heime stecken, um sie schneller loszuwerden. Geschätzte Mehrkosten zwischen 20 und 50 Millionen Mark widersprechen Sparplänen der Finanzsenatorin

Der Senat plant einschneidende Veränderungen bei der Unterbringung und Versorgung von AsylbewerberInnen und Kriegsflüchtlingen. Nach senatsinternen Planungen sollen sämtliche AsylbewerberInnen und alle in Gemeinschaftsunterkünften lebenden Kriegsflüchtlinge ausnahmslos nur noch Sachleistungen erhalten. Barzahlungen werden bis auf ein Taschengeld eingestellt. Abgelehnte AsylbewerberInnen und nach der Genfer Flüchtlingskonvention geduldete Flüchtlinge sollen für die gesamte Dauer ihres Aufenthaltes zum Leben in Gemeinschaftsunterkünften verpflichtet werden.

Die Mietkosten für Privatwohnungen, so die Senats-Pläne, werden für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge künftig nicht mehr übernommen. Auch Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, die bereits zur Ausreise aufgefordert sind, aber keine Bereitschaft zur „freiwilligen“ Rückkehr zeigen, sollen zum Verlassen ihrer Wohnungen gezwungen und nach den Plänen in Gemeinschaftsunterkünfte eingewiesen werden.

Senatsintern ist dieses Vorhaben umstritten. Sowohl innerhalb der Sozialverwaltung als auch in den Bezirken gibt es erhebliche rechtliche, vor allem aber finanzielle Bedenken gegen die Maßnahme. Denn der Plan, der unter dem Etikett der Ausgabensenkung firmiert, läßt jährliche Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe erwarten. Verwaltungsinterne Schätzungen prognostizieren einen Mehraufwand von 20 bis maximal 50 Millionen Mark im Jahr. Ein Ausgabenrahmen, der eindeutig gegen die haushaltspolitischen Vorgaben der Finanzsenatorin verstieße und der deutlich macht, daß die Pläne eher als Druckmittel denn als Sparmöglichkeit fungieren.

Betroffen von der Zwangseinquartierung in Heimen wären schätzungsweise 10.000 Personen. In Berlin leben derzeit die Hälfte der AsylbewerberInnen und fast ein Drittel der Kriegsflüchtlinge in eigenen Wohnungen. Etliche von ihnen wohnen hier ohne Mietzuschüsse der Sozialämter bei Verwandten. Künftig müßten zudem bis zu 40.000 Menschen mit Naturalien versorgt werden.

Senatsintern wird dafür bereits die Einrichtung von mehreren Läden erwogen, die ausschließlich für diesen Personenkreis bestimmt sein sollen. Investitions-, Betriebs- und Personalkosten für diese Versorgungseinrichtungen werden auf 20 Millionen Mark pro Jahr geschätzt. Hinzu kommen die Kosten für zusätzliche Heimplätze, denn derzeit sind die bestehenden Gemeinschaftsunterkünfte in Berlin zu über 90 Prozent belegt. Mit der Verpflichtung, die eigene Wohnung aufzugeben und in ein Heim umzuziehen, kämen überdies auch erhebliche Doppelzahlungen auf die Sozialämter zu. Viele private Mietverträge sind kurzfristig nicht kündbar.

Innerhalb der Verwaltung kämen die Umstrukturierungspläne einem irrwitzigen Arbeitsbeschaffungsprogramm gleich. Der bürokratische Aufwand läßt sich kaum beziffern, und die Gerichte könnten sich auf eine Prozeßlawine gefaßt machen, denn die Berliner Pläne kollidieren mit geltendem Recht. So können Kriegsflüchtlinge nach der bisherigen Rechtslage nicht in Heime gezwungen werden. Die Berliner Vorschläge gehen über in Bonn geplante Gesetzesverschärfungen weit hinaus. Vera Gaserow

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