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Lohnfortzahlung spaltet Deutschland

■ IG Metall droht mit Streiks: Arbeitgeber wollen Lohn bei Krankheit schon ab dem 1. Oktober um 20 Prozent kürzen – trotz bestehender Tarifverträge. Neue Gesetzesregelung produziert branchenspezifische Ungleichheit

Berlin (taz) – Ab 1.Oktober droht eine Spaltung unter ArbeitnehmerInnen in Deutschland. Denn von diesem Datum an gilt per Gesetz die um 20 Prozent gekürzte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Aber das neue Gesetz trifft erst mal nur jene, die keine eindeutige tarifvertragliche Absicherung der vollen Entgeltfortzahlung haben. Weniger Lohn droht daher Erkrankten in der Chemieindustrie, der Bauindustrie, im Bankengewerbe und in einigen Bereichen des Einzelhandels. Auch bei MitarbeiterInnen von zumeist kleineren Unternehmen, die nicht im Arbeitgeberverband sind, kann die Firma im Krankheitsfall das Gehalt ab Oktober kürzen. In Branchen wie dem öffentlichen Dienst und der Metallindustrie dagegen ist die volle Lohnfortzahlung tariflich festgeschrieben. Bei den Metallern drohen schon in wenigen Wochen Arbeitskämpfe. „Wer durch Vertragsbruch die Friedenspflicht verletzt, darf sich nicht wundern, wenn wir darauf in gleicher Weise reagieren“, drohte der baden-württembergische IG-Metall-Chef Gerhard Zambelli in der taz indirekt mit Streik.

Nach dem Gesetz wird bei Erkrankten das Gehalt um 20 Prozent gemindert. Ersatzweise können die Betroffenen auch pro Krankheitswoche einen Urlaubstag drangeben. In vielen Branchen verweist die tarifvertragliche Regelung nur auf das – nun geänderte – Gesetz. In der Metallbranche dagegen sehen die meisten regionalen Tarifverträge die 100prozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vor, das neue Gesetz kann damit eigentlich vorerst nicht angewandt werden. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat den Mitgliedsunternehmen jedoch empfohlen, dennnoch ab 1. Oktober Kranken nur noch den verringerten Lohn zu zahlen. Zwischen Metall-Arbeitgebern und Gewerkschaft ist gestern ein juristischer Streit darüber entbrannt, ob die Regelung im Tarifvertrag unabhängig vom Gesetz gilt.

Falls die Unternehmer bei Kranken kürzen, müsse wahrscheinlich „jeder einzelne den Klageweg beschreiten“, erklärte Zambelli. Man müsse auf einen solchen Vertragsbruch aber auch eine „politische Antwort geben“, so Zambelli. Es werde in den Betrieben in den nächsten Monaten eine „heiße Entwicklung geben“.

Politisch heikel wird es auch im öffentlichen Dienst. Dort genießen Beamte nach wie vor die volle Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall. Für die ArbeiterInnen und Angestellten gibt es ausdrückliche Formulierungen im Tarifvertrag. Um die Lohnfortzahlung bei den Beamten zu verringern, bedarf es zudem nochmals einer zusätzlichen Gesetzesänderung. Die ist aber im SPD-dominierten Bundesrat zustimmungspflichtig.

Erst in der vergangenen Woche hat die SPD die Kürzung bei den Beamten verhindert. Nachdem das Gesetz zur geminderten Lohnfortzahlung für alle Nichtverbeamteten aber nun „in Kraft ist und in vielen Bereichen der gewerblichen Wirtschaft Anwendung findet, kann der öffentliche Dienst nicht ausgenommen werden“, so der bayerische Innenminister Erwin Huber (CSU). Der FDP-Fraktionschef Solms forderte gestern, in einer erneuten Sitzung im Vermittlungsausschuß die Gehaltsminderung für Staatsdiener durchzusetzen und danach auch die Tarifverträge für ArbeiterInnen und Angestellte im öffentlichen Dienst zu kündigen.

„Wenn die Bundesregierung die Kürzung bei einem Teil der Bevölkerung durchsetzt, ist das eben so, dann hat sie auch zu verantworten, daß ein Teil schlechter dasteht“, sagte ein Sprecher der SPD-Zentrale in Bonn. Die SPD-geführten Länder würden im Bundesrat den Arbeitgebern nicht nachträglich ein Alibi verschaffen, indem sie bei den Beamten nachgäben, um eine Gleichstellung der Beschäftigten zu gewährleisten, sagte der niedersächsische Regierungssprecher Karsten-Uwe Heye. BD

Tagesthema Seite 3

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