: Fröhliche Uneinigkeit in der Koalition
■ Noch immer können CDU und SPD den Sparkonflikt nicht klären: Die Anhebung der Gewerbesteuer und Verbeamtung von Lehrern sorgen für Streit. Diepgen nimmt Abschied von antizyklischer Politik
Am Tag nach dem Senatsbeschluß über die Leitlinien der Haushaltspolitik begannen die Großen Koalitionäre sogleich, ihre Dissenspunkte zu verdeutlichen. Gewerbesteuer, Lehrerverbeamtung und die Studiengebühren waren auch am späten Dienstagabend ungeklärt geblieben. Die SPD will bei ihrem Landesparteitag am Wochenende die rasche Anhebung der Gewerbesteuer vorantreiben. CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky plädierte dafür, den Etat höchstens durch mittelfristige Einnahmesteigerungen zu konsolidieren. Trotz der Konflikte werteten SPD und CDU die Leitlinien des Senats aber übereinstimmend als „passabel“.
Das Zwölfseitenpapier sei allenfalls Lyrik, kritisierten hingegen die Bündnisgrünen. Es komme kaum über Allgemeinplätze hinaus. CDU und SPD seien entschlossen, meinte die grüne Haushaltsexpertin Michaele Schreyer, „die unsoziale Umverteilungspolitik der Bundesregierung auf Landesebene zu kopieren“. Als „Freifahrtschein für soziale Grausamkeiten“ bezeichnete PDS-Fraktionschef Harald Wolf die Leitlinien, weil sie die Überprüfung aller Landessozialleistungen enthalte.
Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) hatten jeweils für ihre Seite auf „beinahe revolutionäre“ Entscheidungen hingewiesen. Der Regierende hob die Privatisierungspläne für die Eigenbetriebe hervor, die von Anstalten des öffentlichen Rechts in privatrechtliche Gesellschaften umzuwandeln seien. Die Finanzsenatorin konterte lächelnd, Teilzeitverbeamtungen ohne Anfrage der Betroffenen sei in ihren Augen das umstürzend Neue. Bislang hatte die Innenverwaltung Teilzeitbeschäftigung für Beamte strikt abgelehnt. Das verstoße gegen den hergebrachten Grundsatz, daß Beamte sich mit „voller Hingabe“ ihrer Aufgabe widmen müßten – also auf Vollzeitstellen.
Die Beamtenfrage bleibt einer der Knackpunkte der Koalition. Die CDU will, anders als vereinbart, 6.600 OstlehrerInnen verbeamten. Die SPD weigert sich. SPD- Geschäftsführer Rudolf Hartung ging deshalb gestern seine Parteifreundin Ingrid Stahmer hart an, „die mit den CDU-Brüdern“ für Verbeamtungen votiere. Die SPD will diesem Punkt bei ihrem Parteitag am kommenden Samstag breiten Raum geben: parallele Verkürzungen von Arbeitszeit und Gehalt sowie der in den Leitlinien verankerte „Generationenvertrag“ für den öffentlichen Dienst werden in der Kongreßhalle am Alexanderplatz diskutiert. Generationenvertrag heißt das Modell der Gewerkschaft ÖTV, das Ältere Beschäftigte schrittweise und schneller aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden läßt. Dann sollen jüngere Bewerber aufgenommen werden.
Über Diepgens Abschied vom Begriff der „antizyklischen Politik“ zeigte sich die CDU überraschend erfreut. Das sei „kein typischer CDU-Begriff, sondern eher das Gegenteil“, meinte Fraktionschef Landowsky. Auch Bürgermeister Diepgen hatte sich über das „massive Mißverständnis“ geärgert, er wolle mit Schuldenmachen die Konjunktur ankurbeln. In dem ersten Leitlinien-Entwurf Diepgens war „antizyklische Politik“ noch aufgetaucht. Unterdessen hat der SPD-Linke Klaus-Uwe Benneter das Thema wiederentdeckt: Beim Personalabbau wie auch beim möglichen Stopp von Investitionen sei dringend darauf zu achten, daß Arbeitsplätze nicht verlorengingen. Christian Füller
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