■ Dokumentation: Anfrage der grünen Abgeordneten Gila Altmann zu einem Testbesäufnis im Regierungsauftrag
: Rechtsausschuß säuft fürs Volkswohl

Sehr geehrte Frau Professor Dr. Rita Süssmuth!

„Alkohol ist ein Kulturgut“, sagte einmal der Hersteller eines bekannten Kräuterlikörs, als es in einer Fernsehdiskussion um den Umgang unserer Gesellschaft mit Drogen ging. Was können wir aus diesem Zitat lernen? Aus unserer Gesellschaft ist Alkohol und sein Konsum nicht wegzudenken. Das geht soweit, daß der Gesetzgeber bis heute duldet, daß sich Kfz-FahrerInnen nach dem Konsum der Volksdroge Nummer 1 bis zu einem gewissen Maß hinters Steuer setzen dürfen.

Um denen, die eine Überdosis genossen haben, im Eiltempo auf die Spur und an die Führerscheinpapiere zu kommen, hat der Gesetzgeber Neues im Sinn: Zur Zeit wird darüber nachgedacht, ob die Messung des Blutalkoholwertes mittels Blutabnahme durch Ärzte – auch im Zuge der europäischen Harmonisierung – durch 3.000 digitale Atemmeßgeräte in Polizeihänden ersetzt werden soll.

Bevor es dazu kommen kann, müssen noch weitere wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden. Nach uns vorliegenden Informationen haben sich dankenswerterweise auch VertreterInnen des Bundestages bereit erklärt, ihrem kulturellen Erbe und Auftrag gerecht zu werden: Sie wollen sich am 13. November zum Test des neuen Meßgerätes in den Dienst der Wissenschaft stellen.

Ich möchte Sie bitten, Antworten auf die folgenden Fragen einholen zu lassen:

1.) Stimmt es, daß sich die Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundestages vor einer endgültigen Entscheidung über die Einführung neuer Alkohol-Atemmeßgeräte am 13. November einem Selbstversuch unterziehen werden?

1.1) Wenn ja: Warum findet der Test nicht bereits am 11.11.96 ab 11.11 Uhr statt, um einen doppelten Kulturschub zu erreichen?

2.) Wer übernimmt die Kosten des Selbstversuches und der alkoholischen Testgetränke?

2.1) Wird über Sponsoring nachgedacht?

2.2) Soll zielgerichtet oder nach Lust- und Genußprinzip getrunken werden?

2.3) Wird den unterschiedlichen Trinkgewohnheiten von Frauen und Männern Rechnung getragen?

2.4) Wird den Erzeugnissen deutscher Hersteller Vorrang eingeräumt, oder wird dem Gedanken der europäischen Harmonisierung auch hier Rechnung getragen?

3.) Wo soll der geplante Selbstversuch des Rechtsausschusses stattfinden?

3.1) Handelt es sich um eine der Öffentlichkeit zugängliche Veranstaltung?

3.2) Werden VertreterInnen der Medien eingeladen, um vor Ort über die wissenschaftlichen Bemühungen des Rechtsausschusses zu berichten?

4.) Ist die medizinische Notfallversorgung der Abgeordneten gesichert?

5.) Sind unabhängige Gutachter vorgesehen, die das ordnungsgemäße Befüllen der Abgeordneten und das ordnungsgemäße Blasen in die Atemgeräte kontrollieren?

5.1) Wer übernimmt die Gewähr, daß die Ergebnisse des Trinkversuches streng neutral ausgewertet werden?

5.2) Ist gewährleistet, daß die erfaßten Daten anonymisiert werden?

6.) Herrscht beim Selbstversuch Präsenz- und Trinkpflicht?

6.1) Wie wird mit eventuellen Ausfällen umgegangen?

6.2) Sind Ersatztrinker vorgesehen?

6.3) Wird über Test- und Kontrollgruppen nachgedacht? Wenn ja: welche Kriterien sollen eine Rolle spielen – Anfänger und Fortgeschrittene, Partei- und Fraktionsstärke?

7.) Ist eine solche Versuchsreihe am lebenden Menschen genehmigungspflichtig? Wenn ja: durch wen?

8.) Ist nach dem Selbstversuch für einen gesicherten Abtransport der Testpersonen nach Hause oder entsprechende Einrichtungen gesorgt?

9.) Bleibt es allein dem Rechtsausschuß vorbehalten, an dem Selbstversuch teilzunehmen?

9.1) Wird darüber nachgedacht, ob weitere VertreterInnen von Fachausschüssen (z.B. Verkehr, Wissenschaft, Wirtschaftsausschuß, Arbeit und Soziales, Gesundheit usw.), des Bundestages und Bundesrates in die Testreihe einbezogen werden, um ein möglichst „breites“ Alkohol-Atembild zu erzielen?

10.) Werden die gemachten Erkenntnisse Auswirkungen auf die Redeberechtigung im Plenum haben?

11.) Ist beabsichtigt, die Tradition der Selbstversuche – z.B. den Verzehr von Strahlenmolke durch den bayerischen Staatsminister Dick oder die Rheinquerung durch Ex- BMU Töpfer – auch in anderen Fachausschüssen aufleben zu lassen? Beispiele:

11.1) Proberauchen von Kulturpflanzen exotischer Völker zur Bewußtseinserweiterung mit anschließendem Schweißtest durch den Verkehrsausschuß?

11.2) Testessen von britischem Rindfleisch durch den Landwirtschaftsausschuß?

11.3) Probefliegen mit Flugzeugen von ausgewiesenen Billiganbietern durch den Haushaltsausschuß?

Mit freundlichen Grüßen

Gila Altmann, Bündnis 90/Die Grünen