Nebelkerzen um Garzweiler

Öffentlich kämpft RWE für Garzweiler II. Praktisch aber investiert RWE schon in den Abschied  ■ Von Walter Jakobs

Hans Berger, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) mochte nicht länger schweigen. Anfang Juli gestand er Bonner Journalisten, er habe angesichts der Liberalisierung der europäischen Strommärkte und der günstigen Erdgaspreise zunehmend „Angst um die Zukunft der deutschen Braunkohle“. Neue Kraftwerke für Industrie oder Kommunen würden fast ausschließlich auf Gasbasis gebaut. Vor allem für den umstrittenen Braunkohletagebau Garzweiler II könnte diese Entwicklung, so Bergers Befürchtung, „ein dickes Problem werden“.

Manche Töne aus der Essener Zentrale des Rheinisch-Westfälischen-Elektrizitätswerks (RWE), dessen Tochtergesellschaft Rheinbraun die Braunkohletagebaue am Niederrhein betreibt, klingen ähnlich. Angesichts des preisgünstigen Erdgases, so räumt der RWE- Energie-Chef Roland Farnung ein, tut sich Braunkohle auf den Brennstoffmärkten „nicht leicht“.

Bei den öffentlichen Auftritten Farnungs fehlt zwar nie das Bekenntnis zu Garzweiler II, aber die praktischen Investitionsentscheidungen deuten in eine andere Richtung.

RWE investiert lieber in Gaskraftwerke

Immer häufiger baut RWE für seine Großkunden auf Gasbasis betriebene GuD-Kraftwerke mit hintereinandergeschalteten Gas- und Dampfturbinen, die zugleich die Nutzung der Abwärme möglich machen. Bei BASF in Ludwigshafen, bei Hoechst, bei Bayer Dormagen und Bayer Leverkusen sind solche Anlagen schon errichtet bzw. in der Planung. Von 3 Prozent will RWE den Gasanteil an seiner Strom- und Wärmeproduktion auf 15 Prozent ausweiten. Das entspricht 2.000 Megawatt.

Auch auf der Gasversorgungsseite hat RWE in diesem Jahr durch den Erwerb der Hälfte der Thyssengas GmbH Fakten geschaffen. Das Unternehmen, dessen Versorgungsgebiet mit dem Hauptabsatzgebiet von RWE weitgehend übereinstimmt, zählt mit einem Umsatz von 1,5 Milliarden Mark zu den fünf größten Ferngasgesellschaften in Deutschland. Kürzere Bauzeiten und im Vergleich zu Kohlekraftwerken halb so hohe Investitionskosten sprechen für die Ausweitung des Gasgeschäfts. Auch ökologisch geht die Rechnung auf, weil der klimafeindliche Kohlendioxidausstoß bei der Stromerzeugung aus Gas um 70 Prozent niedriger liegt als bei Braunkohle.

Der energiepolitische Sprecher der bündnisgrünen Landtagsfraktion, Gerd Mai, sieht das Engagement von RWE im Gasbereich als Beleg, daß „der Stellenwert der Braunkohle in der unternehmerischen Planung bei RWE rapide abnimmt“. Die SPD sei inzwischen der eigentliche Antreiber bei Garzweiler II. 48 Quadratkilometer Niederrhein zwischen Jackerath und Jüchen im Kreis Neuss müßten für den Tagebau weichen. Bis zum Jahr 2045 sollen hier per anno 35 bis 45 Millionen Jahrestonnen Braunkohle ausgebuddelt und verheizt werden. 7.600 Menschen müßten ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Nach den ursprünglichen Planungen sollten die stählernen Riesenungetüme im Jahr 2006 loslegen.

Zur Zeit werden jährlich etwa 85 Millionen Tonnen Braunkohle im rheinischen Revier aus den Tagebauen Hambach, Inden und Garzweiler I verstromt. Auch ohne Garzweiler II stünden bis zum Jahr 2040 rund 70 Millionen Jahrestonnen aus Hambach und Inden zur Verfügung.

Während SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement das Projekt aus energiepolitischen Gründen für „unverzichtbar“ erklärt, halten die Grünen, die Naturschutzverbände, Greenpeace und zahlreiche Energiewissenschaftler eine sichere Stromversorgung bei einer entsprechenden politischen Weichenstellung auch ohne Garzweiler für machbar.

Stromsparen, Erhöhung der Energieproduktivität und Ausbau der regenerativen Energien lauten die Stichworte in dieser Diskussion. Zu den Garzweiler-II-Gegnern zählen auch führende Sozialdemokraten wie der langjährige ehemalige Düsseldorfer Verkehrsminister und Rau-Stellvertreter, Christoph Zöpel. Für Zöpel paßt das Projekt schlicht „nicht mehr in die Zeit“. Selbst die beschäftigungspolitischen Auswirkungen – von Garzweiler II hängen direkt etwa 9.000 Jobs ab – hält Zöpel im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen für lösbar.

Mit den Klimaschutzbeschlüssen der Bundesregierung und den Empfehlungen der Klima-Enquetekommission des Bundestages ist das Projekt ohnehin „nicht vereinbar“, urteilt etwa Peter Hennicke vom Wuppertaler Klimaforschungsinstitut. Bis zum Jahr 2005 sollten die deutschen Kohlendioxidemissionen laut Kanzlerversprechen beim Weltklimagipfel um 25 bis 30 Prozent gesenkt werden.

RWE hatte solche Vorwürfe mit Modernisierungsversprechen gekontert. Der Stromkonzern sagte der Landesregierung in Düsseldorf zu, den spezifischen CO2- Ausstoß durch ein milliardenschweres Investitionsprogramm bis zum Jahr 2030 in allen Braunkohlekraftwerken um 27 Prozent zu senken, quasi als Gegenleistung für die Genehmigung von Garzweiler II.

Jetzt aber zögert der Konzern. In Frimmerdorf, wo ein erster Neubau schon 1996 beginnen sollte, liegt bisher nicht einmal ein Genehmigungsantrag vor. Der oberste RWE-Konzernboß Dietmar Kuhnt begründet diesen Rückzug mit den Unsicherheiten in Bezug auf Garzweiler II. Die „politischen Unwägbarkeiten“ nach der Regierungsbeteiligung der Grünen ließen die Investition für RWE nicht ratsam erscheinen, so Kuhnt im Mai diesen Jahres.

Statt dessen soll nun im 14 Kilometer entfernt liegenden Niederaußem ein neues Kraftwerk gebaut werden. Für Mitte 1997 versprach Kuhnt den Genehmigungsantrag. Betriebsbereit sei die Anlage dann im Jahr 2002. Während Frimmersdorf Braunkohle aus der Garzweiler-Region bezieht, ist Niederaußem dem Tagebau Hambach zuzuordnen. Was Wunder, daß der grüne Abgeordnete Mai auch diesen RWE-Kurswechsel „als ein Signal für ein Abrücken des Konzerns von Garzweiler II“ wertete.

Kraftwerksneubau nicht mehr für Garzweiler

Solche Signale setzte zuletzt auch die hundertprozentige RWE- Tochter Rheinbraun. Zusammen mit einem holländischen Handelsunternehmen übernahm der Tagebaubetreiber Mitte August den Steinkohlehandel der Stinnes AG. Schon seit 1991 ist Rheinbraun zur Hälfte am drittgrößten amerikanischen Steinkohlekonzern Consol beteiligt, der seine Kohle – anders als in Deutschland – profitabel zum Weltmarktpreis fördert.

Rheinbraun-Chef Dieter Hennig schwärmte nach dem Stinnes- Deal vom „Wachstumsmarkt internationaler Steinkohlehandel“. Man wolle „durch Consol-Kohle und durch den internationalen Brennstoffhandel die Braunkohle hierzulande nicht ersetzen“, aber „wir schließen nicht aus, uns um Marktanteile zu bemühen, die durch einen etwaigen Rückgang der deutschen Steinkohle freiwerden“.

Hennigs klare Wort sind eine öffentliche Ohrfeige für den NRW-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Der SPD-Politiker läßt nämlich kaum eine Gelegenheit aus, für den Fall einer rückläufigen Steinkohleförderung Garzweiler II eine „noch gewichtigere Dimension“ zuzuschreiben.

Für Lutz Mez von der Forschungsstelle für Umweltpolitik der FU-Berlin, ist die Bilanz aus dem Geschäftsgebaren des Essener Energiemultis klar. Garzweiler II sei für RWE ökonomisch viel zu risikoreich. Der Politik werde für den betriebswirtschaftlich gebotenen Rückzug aus dem Projekt jetzt „nur noch der Schwarze Peter zugeschoben“.