Frühaufsteher Arafat beeindruckt Hessen

PLO-Chef auf Kurzvisite im Wiesbadener Landtag: Arafat wirftIsraelis Verschleppung des Friedensprozesses vor und tauscht Bruderküsse mit Ministerpräsident Eichel aus  ■ Aus Wiesbaden Klaus-Peter Klingelschmitt

Jassir Arafat (67), Präsident der Exekutivbehörde des Palästinensischen Rates, wie man ihn kennt: olivgrüne Uniform, Palästinensertuch – und das Gesicht unrasiert. Jassir Arafat auf Betteltour durch Hessen. Ausgerechnet beim „blanken“ Hans Eichel (SPD), dem Ministerpräsidenten der von Finanznöten geplagten rot-grünen Landesregierung, wirbt der Fatah- Gründer und PLO-Vorsitzende um finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau in den autonomen Gebieten. Immerhin war Hessen das erste und bislang einzige Bundesland, das in Dier El Balah (Gaza) ein Kooperationsbüro eingerichtet hat: Die Wirtschaft in Hessen sollte sich beteiligen an diesem Wiederaufbau. Bislang haben allerdings nur die Landesregierung selbst, die Stadt Wiesbaden und humanitäre Organisationen in Hessen monetäre Hilfe in die autonomen Gebiete fließen lassen: Für die Instandsetzung von zehn Sportplätzen, die Einrichtung von Schullaboratorien und den Bau einer Jugendbegegnungsstätte in Jericho.

Arafat dankte den Bürgerinnen und Bürgern des Landes und der Landesregierung „von tiefstem Herzen“ für diese Unterstützung. Vor seiner eigentlichen Rede gestern vor dem hessischen Landtag verteilte er demonstrativ Bruderküsse an Hans Eichel. Freundlich und mit viel Beifall war Arafat kurz vor 12 Uhr schon von den WiesbadenerInnen empfangen worden, die vor dem Landtag geduldig gewartet hatten. Arafat winkte fleißig – auch bei seinem anschließenden Einzug in den Landtag. Dort entschuldigte er sich zunächst für seine Verspätung von knapp zwei Stunden. Bis zwei Uhr in der Nacht habe er noch mit dem israelischen Verteidigungsminister verhandelt: ergebnislos. Und um 5 Uhr habe er schon wieder aufstehen müssen, um die braven Hessen zu besuchen. Da war selbst Landtagspräsident Klaus-Peter Möller, bekannt als notorischer Frühaufsteher, beeindruckt.

In seiner engagierten Rede warf Arafat dann der neuen israelischen Regierung vor, den Friedensprozeß zu verschleppen und damit ernsthaft zu gefährden. „Provokativ und feindselig“ und gegen die Interessen des palästinensischen Volkes würden Siedlungen neu gebaut und von der Regierung in Tel Aviv dafür finanzielle Mittel bewilligt. Und durch die „Politik der Belagerung“ wachse in den autonomen palästinensischen Gebieten die Arbeitslosigkeit, und die ökonomische Lage verschlechtere sich permanent. Arafat: „Das zerrt die Region zu Terrorismus und Gewalt zurück.“ Der Friedensprozeß, so Arafat, könne sich nur weiterentwickeln, wenn die israelische Regierung die in Oslo erarbeiteten und von beiden Seiten ratifizierten Grundlagen auch weiter respektiere. Zur Zeit aber sei die israelische Regierung dabei, das Prinzip „Land gegen Frieden“ durch das Prinzip „Sicherheit gegen Frieden“ zu ersetzen.

In einem flammenden Schlußappell forderte Arafat die EU, die USA und „die ganze Weltgemeinschaft“ auf, den „festgesetzten Ablauf“ des Friedensprozesses durch Druck auf Israel durchzusetzen. Demonstrativ grüßte Arafat im hessischen Landtag das israelische Volk und wünschte „viel Glück“ für das Friedensfest Rosch Hoschana. Auf eigenen Wunsch wird Arafat heute mit dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, in Frankfurt zusammentreffen.