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Ekliptische Techno-Politik in Kunst

■ Ein Rettungs- Happening für ein offenes Haus der Kultur in Langenhorn

Wer kennt nicht die kleinen Meßgeräte der Firma Valvo, die am Fahrrad so hilfreich sind? Das ehemalige Fabrikationsgelände dieser Firma in Hamburg-Langenhorn war allerdings bereits im III. Reich im Besitz der Messap, die dort, in der bombensicheren Hamburger Randzone, Zeitzünder und Munitionshülsen herstellte und dafür Zwangsarbeiterinnen beschäftigte.

Ein Gebäude des Geländes an der Essener Straße wird nun seit drei Jahren von jungen Künstlern und Techno-Freaks zu günstigen Konditionen bewohnt und ist ein Ort des kommunikativen Miteinanders geworden. Nachdem die Hamburger Kammerspiele hier ihre Probebühne aufgegeben haben, wird das Gelände nun von der Immobilien Verwaltungsgesellschaft (IVG) mit neuen Plänen bedacht: Aus Gründen der inneren Sanierung zwecks Mehrwert-Steigerung soll die organisch gewachsene Hausgemeinschaft jetzt aus diesen geschichtsträchtigen Räumen entfernt werden. Das Denkmalpflegeamt hat sich dagegen bereits für die Erhaltung der Gebäude im Sinne der Bewohner ausgesprochen.

Heute abend wird in der Essener Straße 2 im Haus 257 ein „Happening der III. ART“ unter dem Titel Equinox stattfinden. Das Äquinoktium ist die Tagundnachtgleiche, also jener Zeitpunkt, an dem die Sonne auf ihrer jährlichen, scheinbaren Bahn der Ekliptik den Himmelsäquator schneidet.

Die von mehreren freien Gruppen getragene Solidaritätsaktion zu Gunsten des Hauses (u.a. U-Side, Abbevillien-Dia-Logik, Tanz Theater Melody, Peace Base Camp und artbase) verbindet künstlerische, musikalische und geistige Aktivitäten auf mehreren Ebenen zwischen Alt-68ern und 96er-Technoschamanen. Den Rahmen bildet eine nahezu klassische 24-Stunden-Aktion, die die Grenze von Kunst und Leben über die organische Tagundnachtgleiche als Metapher der Teilhabe am sozialen Bestand auflöst.

So soll Widerstand gegen herrschende Gleichschaltungs- und Vernichtungstendenzen mit den friedlichen Mitteln entfalteter Sinnlichkeit geleistet werden: Neben der geplanten Gründung der „Gesellschaft für operative Kunst“ wird ein Gedächtnisraum für die Geländegeschichte diskutiert. Und dann soll es laut, bunt und ekstatisch zugehen: Das Haus tanzt.

Gunnar F. Gerlach

Sa, 20 Uhr, Essener Str. 2

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