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Frauen als Exportprodukt

■ Tourismus, Strich und Frauenhandel in der Dominikanischen Republik

Santo Domingo (taz) – Mit 15 träumte Marina Torres vom Familienglück. Als Schwarze in einem Arbeiterbezirk von Santo Domingo aufgewachsen, hatte sie nur begrenzte Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs. Sie heiratete einen Polizisten und bekam in den folgenden Jahren ein Kind nach dem anderen. Mit 23 hatte Marina den Traum zu Ende geträumt. Wenn der Ehemann angetrunken nach Hause kam, prügelte er sie – sie packte ihre fünf Kinder, zog aus und fand bald einen Posten als Hilfskrankenschwester. Doch das Geld reichte nicht für sechs. „Da fragte mich eine Freundin, ob ich nicht Lust hätte, in einer Bar zu arbeiten, um meine Kinder durchzufüttern. Am Anfang servierte ich nur die Drinks, doch bald begann ich mit den Kunden auszugehen, um das Gehalt aufzubessern. Du merkst es gar nicht, aber plötzlich bist du eine Sexarbeiterin.“

Marinas Schicksal ist kein Einzelfall. Die langbeinigen Mulattinnen im knappen Bikini, die in den Werbeprospekten der Reisebüros dem Touristen unter der Kokospalme seinen Rum-Punsch servieren, haben ein Klischee der dominikanischen Frau geprägt, das wenig mit der Wirklichkeit gemeinsam hat.

Für eine junge Dominikanerin ohne Bildung gibt es im Prinzip nur drei Verdienstmöglichkeiten: die Akkordarbeit in den Fertigungsindustrien der Freihandelszonen, den Dienst als Hausmädchen und die Prostitution. Durch frühe Schwangerschaft werden die Optionen oft noch eingeengt.

Denn auf Abtreibung stehen bis zu 20 Jahren Zuchthaus, und jugendliche Mütter, die ihr Kind austragen, werden aus der Schule geworfen. Lourdes Contreras: „Im besten Fall können sie in die Abendschule gehen. Aber wenn das Kind da ist, müssen sie Arbeit suchen. Sie finden nichts und landen in der Prostitution.“

Auf 40.000 wird die Zahl der Prostituierten in der Dominikanischen Republik geschätzt. Die meisten gehen für ihre Kinder anschaffen. In Santo Domingo findet mann sie in den Nachtclubs, auf der zentral gelegenen Geschäftsstraße Avenida Duarte, im Messegelände am Malecón und am Rande der Kolonialzone, wo sie genauso zum Stadtbild gehören wie die Straßenverkäufer.

Volk mit Fluchtkomplex – Träumen von New York

Rund 50.000 weitere verdingen sich in der Ferne. Nelsy Aldebot, eine feministische Psychologin, hat dem ganzen Volk einen Fluchtkomplex attestiert: „Es gibt kaum Auswege aus der Armut. Selbst bessere Ausbildung hilft nicht unbedingt weiter, weil du keinen Job findest“. Revolutionen und revolutionäre Bewegungen hätten keine Veränderungen bewirkt, „seit einiger Zeit wird die Flucht als einziger Ausweg betrachtet. Wir selbst haben unseren Landsleuten die Ausreise schmackhaft gemacht und damit einen Traum vom Wohlstand in der Ferne geschaffen.“

Die meisten träumen von New York, wo bereits rund eine Million Dominikaner leben. Für Frauen hat sich in den letzten Jahren Europa als Arbeitsmarkt aufgetan, wo die gutgebauten Mulattinnen als Tänzerinnen geschätzt werden. Geschichten über junge Frauen, die unter falschem Vorwand nach Europa gelockt und dort in die Prostitution getrieben wurden, haben schnell die Runde gemacht. Heute weiß jede, daß die Grenze vom Auftritt im Nachtlokal zur Prostitution fließend ist. Aber fast alle machen sich Hoffnungen, entweder von einem Klienten geheiratet zu werden oder nach ein paar Jahren mit genug Erspartem zurückzukommen, um ein Geschäft oder ein Lokal aufzumachen.

Mütter vermitteln ihre Töchter ins Ausland

„Als meine Familie merkte, wo ich mein Geld verdiente, begann sie, mich zu meiden. Ich bin überzeugt, daß die meisten dasselbe erleben“, erzählt Marina Torres. Doch wenn eine im Ausland zu Geld kommt, fragt nachher keiner, wie sie dazu gekommen ist. Selbst eifersüchtige Ehemänner denken in solchen Fällen zuerst an die Kasse. Ja, oft sind es die Mütter, die ihre Töchter an ausländische Agenten vermitteln. So wurde dem Koordinator eines Schweizer Hilfswerks, der ein Kamerateam in der Provinz begleitete, von der Mutter eines der interviewten Mädchen ein attraktiver Deal angeboten: Sie wollte ihm monatlich zehn Frauen für den Einsatz in Europa verschaffen.

Letztes Jahr im Mai beschäftigte sich der 1. Dominikanische Sexarbeiterinnenkongreß drei Tage mit allen Aspekten und Problemen des Gewerbes. Sexarbeiterin, weder ehrenrührig noch beschönigend, das ist der Terminus, auf den frau sich als Berufsbezeichnung geeinigt hat. Einer der wichtigsten Punkte war die Entwicklung von Alternativen. Feministinnen wie Nelsy Aldebot lehnen zwar die Prostitution als Produkt des patriarchalischen Systems grundsätzlich ab, doch sehen sie ein, daß sie den Frauen wenig Alternativen bieten können. Spätestens bei Erreichen des vierten Lebensjahrzehnts stellt sich für die Sexarbeiterin die Frage: was nun? Denn die Konkurrenz ist groß, und mit nachlassender Straffheit des Fleisches sinken die Tarife.

Eine Reihe von Organisationen, vom eher feministischen Frauenzentrum CE-Mujer bis zu den Betschwestern vom Heiligsten Sakrament, veranstalten Ausbildungskurse für Frauen, die von der Straße wegwollen oder sich für die Zeit danach rüsten. Geboten werden nicht nur traditionelle Berufe wie Schneiderei, sondern auch Tischlerei und Elektromechanik.

Marina Torres wurde vor einigen Jahren bereits von einer Organisation angeworben, die Gesundheitspromoterinnen ausbildet und die ehemaligen Kolleginnen über Aids-Prävention und Verhütung von Geschlechtskrankheiten aufklärt. „Die Mädchen haben Vertrauen zu mir, weil ich ihre Situation von innen kenne.“ Fast alle hätten sich bereits zur Verwendung von Präservativen entschlossen und gingen regelmäßig zur Untersuchung. Die einheimischen Männer hätten noch größere Vorbehalte gegen den Gummi als die Ausländer. Doch seit einiger Zeit knöpft sich Marina auch die Freier vor: „Die meisten lassen sich schnell zum Kondom bekehren.“ Ralf Leonhard

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