: Der einzige Zeuge kennt viele Versionen
■ Lübecker Brandanschlag: Hauptbelastungszeuge gegen Safwan Eid sagt heute aus
Die „Wahrheit“ hat vier Versionen: So viele Varianten dessen, was er in der Nacht des Brandanschlages auf das Lübecker Flüchtlingswohnheim in der Hafenstraße von Safwan Eid gehört haben will, präsentierte jedenfalls der Rettungssanitäter Jens L. bislang der Staatsanwaltschaft.
Am heutigen Montag muß er sich auf eine Fassung festlegen und glaubhaft machen können, warum er dreimal irrte. Gelingt ihm dieses Kunststück nicht, ist der Mordbrennerei-Prozeß gegen den beschuldigten Libanesen so gut wie entschieden.
Denn Jens L. ist der einzige Zeuge. Der einzige, dem gegenüber Safwan Eid sich mit den Worten „Wir waren es“ selber der Brandstiftung bezichtigt haben soll. Entsprechend gespannt blicken die Staatsanwälte Michael Böckenhauer und Axel Bieler, aber auch die Verteidigerinnen Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter dem Auftritt des Belastungszeugen entgegen.
Am 19. Januar, 36 Stunden nach dem Feuer, hat Jens L. der Staatsanwaltschaft zu Protokoll gegeben, Safwan Eid habe ihm während eines Bustransportes zu einem nahegelegenen Krankenhaus mit den Worten „Wir waren es“ seine Tatbeteiligung eingestanden. Niemand außer Jens L. hat diese Worte gehört. Eid soll zudem noch im Bus ein Motiv („Streit mit einem Familienoberhaupt“) für die Brandstiftung genannt und davon berichtet haben, daß diesem „Benzin“ vor die Tür gekippt worden sei.
Drei Tage später, am 22. Januar, korrigiert Jens L. seine Aussage erstmals: Nun berichtet der Zeuge ganz allgemein von Zwistigkeiten unter den Bewohnern, die Eid als Grund für die Mordbrennerei genannt haben soll. In seinen Aussagen, die er drei Wochen später, am 12. Februar, macht, kann er sich nicht mehr daran erinnern, von Benzin gesprochen zu haben. Die korrigierte Fassung paßt in die Ermittlungen: Trotz aufwendigster Analysen hat die Polizei bis heute weder am Brandort noch an der Kleidung Eids Rückstände von Benzin oder sonstigen Brandbeschleunigern nachweisen können.
Am 31. Mai variiert Jens L. seine Aussage schließlich zum dritten Mal: Nun meint er, sich – nach über vier Monaten – daran erinnern zu können, daß Eid sich vielleicht doch schon am Brandort und nicht erst später im Bus der Brandstiftung bezichtigt habe. Er synchronisiert damit seine Darstellung mit einer Aussage des Sanitäters Matthias H., der von Jens L. noch vor dem Bustransport von der angeblichen Selbstbezichtigung Safwan Eids informiert worden sein will.
Stets haben sich Jens L's Aussagen dem jeweiligen Ermittlungsstand angepaßt. So sind sich die Sanitäterin Nadine M. und ein weiterer Zeuge darüber einig, Jens L. habe ihnen berichtet, daß Safwan Eid mit Hilfe einer mit Benzin gefüllten Flasche den Brand gelegt haben will. Der Rettungssanitäter bestreitet hingegen, von einer Flasche gesprochen zu haben. Glück für die Staatsanwaltschaft, denn Glasspuren wurden in der Nähe des Tatortes trotz intensiver Suche nie gefunden.
Geklärt werden muß am heutigen Prozeßtag auch, warum Jens L. erst anderthalb Tage nach dem Brand den Ermittlern von seinen Beobachtungen berichtete, und welche Rolle Matthias H. spielt. Er hatte den Kontakt zwischen Jens L. und der Polizei hergestellt, nachdem die vorläufige Festnahme von vier Tatverdächtigen aus der rechten Szene bekanntgegeben wurde, zu der sich Matthias H. lange Zeit selber hingezogen fühlte.
Fest steht nur eins: Jens L. wird am heutigen Prozeßtag einiges zu erklären haben. Marco Carini
Weiterer Bericht S. 11
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