Grüne Sparkommissare ärgern hessische SPD

■ Seit Wochen knistert es in der rot-grünen Vernunftehe, weil die SPD nicht genug sparen und mit den vereinbarten Oköabgaben auch soziale Projekte finanzieren will

Wiesbaden (taz) – Ein Drohbrief war es (noch) nicht, den der amtierende Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im hessischen Landtag, Alexander Müller, letzten Donnerstag dem amtierenden Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD) schrieb. Aber unter Druck wollte Müller den „blanken“ Hans, dem die Finanzexperten der Grünen die (Spar-)Garotte um den Hals gelegt haben, schon setzen: „Ich rate dringend dazu, den Haushalt auf der Grundlage der gemeinsam verabredeten Punkte im Kabinett zu verabschieden. Weitere Wünsche (...) sind aus unserer Sicht nicht zustimmungsfähig.“

Genutzt hat der „blaue Brief“ von Müller an Eichel allerdings herzlich wenig. Denn der umstrittene Haushaltsentwurf für 1997 wurde vergangenen Freitag vom Kabinett nicht wie vorgesehen verabschiedet. Die Unterhändler der Koalitionsparteien vertagten sich auf den heutigen Montag. Daß die unübersehbar gewordenen Gräben zwischen den Koalitionsparteien schon an diesem Wochenende ausgeräumt und damit der Weg für die Verabschiedung des „Sparhaushaltes“ (Bündisgrüne) freigemacht wird, glaubt in Wiesbaden allerdings keine(r) der Beteiligten. Müller: „Da müssen noch einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden.“

Tief hatten Union und FDP in der abgelaufenen Plenarwoche die Finger in die Wunden gesteckt, die sich SPD und Bündnisgrüne öffentlich selbst schlugen. Koalitionstreit um die von Justizminister Rupert von Plottnitz (Grüne) geforderte Abschaffung des Verfassungsschutzes. Sozialdemokratischer und auch grüner Widerstand gegen die Ankündigung von Umweltministerin Margarete Nimsch (Grüne), in Trebur vielleicht doch noch einen Hochwasserschutz für die Rheinanlieger in NRW bauen zu wollen. Anhaltender grüner Widerstand gegen die Absicht der SPD, die Einnahmen aus der „Ökosteuer“ Grundwasserabgabe auch für allgemeine, statt nur für ökologische Investitionen zu verwenden. Schwere koalitionsinterne Auseinandersetzungen nach dem Versuch der SPD, noch kurz vor Verhandlungsschluß ein neues Wohnungsbauprogramm im Etat für 1997 unterzubringen. Und Unmut an der grünen Basis und auch in den Reihen der Landtagfraktion über die befristete Abschaffung der Sonderabfallabgabe, der zweiten gefeierten „Ökosteuer“ in Hessen.

Die Bündnisgrünen kämpften wochenlang um den Erhalt der grünen Farbflecken im rot-grünen 97er Etat: Grundwasserabgabe und Sondermüllabgabe. Die Sozialdemokraten kämpften dagegen um zusätzlich Gelder aus diesen „grünen Töpfen“ zur Finanzierung sozialer Projekte. Am nachgeschobenen Wohnungsbauprogramm in Höhe von 150 Millionen Mark entzündete sich dann am Donnerstag der koalitionsinterne Streit. Weder sei der konkrete Umfang dieses Programms erörtert, noch seine Finanzierung im Haushalt 1997 von der SPD dargelegt worden, wetterte Müller. Die Sparkommissare der Bündnisgrünen befürchten, daß damit – und mit den weiteren „Zusatzwünschen“ – die angestrebte Begrenzung der Nettoneuverschuldung auf 1,9 Milliarden obsolet wird. Überraschend hatte sich die SPD am Wochenende nämlich auch noch von Kürzungsvorschlägen im sozialen Bereich verabschiedet. Müller: „Dafür müßten noch einmal 100 Millionen Mark aufgebracht werden.“

Buchhalter und Kassenwarte machen heute nicht nur in Wiesbaden Politik. „Wer in den Zeiten leerer Kassen noch an Visionen leide, das wußte schon der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky, der möge doch bitte schön den Arzt aufsuchen. Inzwischen allerdings gibt es auch internen Streit bei den Bündnisgrünen: Drei Gegenstimmen in der Fraktion bei der Abstimmung über den Kernhaushalt 1997. Und am Donnerstag trat dann der umweltpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Horst Burghardt, demonstrativ von seinem Amt zurück. Er könne es nicht verantworten, daß die von der Partei als „Ökosteuer“ euphorisch kommentierte Grundwasserabgabe jetzt „zur allgemeinen Steuer“ verkomme und die Sonderabfallabgabe de facto gleich ganz gestrichen werde.

Ökosteuern ade? Alexander Müller hält dagegen: Dem Wunsch der SPD, 50 Millionen Mark aus der Grundwasserabgabe etwa für den kommunalen Finanzausgleich abzuzwacken, würden sich die grünen Unterhändler weiter kompromißlos widersetzen. Und die Sonderabfallabgabe sei nur für drei Jahre „ausgesetzt“ worden. Die Industrie werde demnächst „vertraglich verpflichtet“, weniger Sondermüll zu „produzieren“. Und was antwortet Müller den Kritikern vor allem aus den Umweltverbänden und den Reihen der Grünen- Jugend, die sich fragen, was noch „öko“ an der rot-grünen Landesregierung in Hessen ist? Vielleicht, in Anlehnung an Vranitzky, daß sie doch besser ihren Arzt oder Apotheker danach fragen sollten? Die Frage sei falsch gestellt, sagt Müller spitz. Sie müsse richtig lauten: „Was ist noch rot an der rot-grünen Landesregierung.“ Klaus-Peter Klingelschmitt