: Todesurteil für Altenwerder
Die Hafenerweiterung kann beginnen: Oberverwaltungsgericht hebt Baustopp auf und stellt sogar ökologischen Ausgleich in Frage ■ Von Heike Haarhoff
Das Todesurteil erging gestern kurz nach 16 Uhr: Die Elbinsel Altenwerder darf, verkündete das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG), ab sofort von Baggern zerstört und in ein Containerterminal verwandelt werden. Die seit 30 Jahren von der Wirtschaftsbehörde geplante und im Mai 1995 per Planfeststellungsbeschluß angeordnete Hafenerweiterung könne umgehend in die Tat umgesetzt werden.
Der behördliche Planfeststellungsbeschluß, gegen den der Altenwerder-Grundeigentümer Werner Boelke und mit ihm verschiedene Naturschutzverbände klagen, sei zwar „nicht glücklich in der Begründung abgefaßt, aber rechtlich korrekt“, befand der Vorsitzende Richter Klaus Hoppe. Auch die Abwägung zwischen naturschutzrechtlichen und wirtschaftlichen sowie öffentlichen und privaten Belangen sei „in allen Punkten rechtsfehlerfrei“. Hoppe hob damit den Ende März erstinstanzlich verhängten Baustopp auf: Damals hatte das Verwaltungsgericht (VG) der Behörde die „sofortige Vollziehung“ des Hafenausbaus untersagt, bis über die Klagen der AnwohnerInnen gegen den Planfeststellungsbeschluß entschieden sei.
Die Beschwerde der Wirtschaftsbehörde beim OVG war nun erfolgreich: Das Versäumnis, die als ökologischen „Ausgleich“ geplante Öffnung des Flusses Alte Süderelbe planungsrechtlich nicht abgesichert zu haben, betrachtet das OVG anders als die erste Instanz nur noch als Schönheitsfehler: „Seit 1929 ist Altenwerder als Hafenerweiterungsgebiet ausgewiesen“, so Richter Hoppe, „eine andere Nutzung“ als die zu Hafenzwecken sei früher oder später „unrealistisch“.
Als das Bundesnaturschutzgesetz und mit ihm die Pflicht zum ökologischen Ausgleich bei Eingriffen in Kraft getreten sei, „lag die Planung für Altenwerder längst vor“, suchte Hoppe zu begründen, weshalb die Wirtschaftsbehörde, wäre sie nicht so „entgegenkommend“, auf einen ökologischen Ausgleich sogar ganz hätte verzichten können. In jedem Fall aber reiche es nachzuweisen, daß die Öffnung der Alten Süderelbe als Ersatzmaßnahme „möglich“ sei. Eine Machbarkeits-Garantie werde nicht verlangt. Im übrigen, gab der Richter Tips zur Umschiffung des Naturschutzes, könne die Vernichtung des Biotops auch durch Geldzahlungen beglichen werden.
Kläger Boelke aber habe nicht einmal Anspruch auf ökologischen Ausgleich für sein Grundstück. Denn der Bau von Kaianlagen sei als Hochwasserschutz-Maßnahme nach dem Hamburger Naturschutzgesetz nicht ausgleichspflichtig.
Die Bedenken der Umweltgruppen, Altenwerder-Anwälte und selbst der Hamburger Justizbehörde, das Landesgesetz widerspreche in diesem Punkt dem Bundesnaturschutzgesetz, wischte Richter Hoppe beiseite. Ebenso wenig wie das hamburgeigene Hafenentwicklungsgesetz gegen das Grundgesetz verstoße, seien die wirtschaftlichen Prognosen zum Hafen-Umschlag angreifbar. Es gebe, so mutierte Hoppe zum Anwalt der Hafen-Industrie, „keinen alternativen Standort zu Altenwerder“.
„Mein Grundstück“, entgegnete Boelke dem OVG-Richter festen Blickes, „ist unverkäuflich“. Boelke kann jetzt noch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen. Seine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß läuft ungeachtet dessen im Hauptsacheverfahren weiter.
Die Wirtschaftsbehörde aber kann derweil – so sie das gestern nach Behörden-Auskunft immer noch geheimgehaltene Finanzierungskonzept endlich vorlegt – Fakten schaffen, indem sie Altenwerder großflächig umgräbt.
Die Altenwerder-Kläger trugen den Gerichtsbeschluß gestern gefaßt: „Denn“, fragte Werner Boelke kampfeslustig, „was war in Altenwerder schon einfach?“
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