: Frauenmarsch zum Jobmarkt
Der Anteil arbeitender Männer sinkt weltweit, Frauen werden „ökonomisch aktiver“. Dennoch leiden viele unter wachsender Armut ■ Von Christa Wichterich
Köln (taz) – Der Mann als Ernährer hat ausgedient. Weltweit steigt die Zahl „ökonomisch aktiver“ Frauen, während der Anteil berufstätiger Männer sinkt. In der Mehrzahl der Haushalte ist der Einkommenserwerb von Frauen notwendig und selbstverständlich geworden. „Feminisierung der Beschäftigung“ etikettieren die Vereinten Nationen diese Entwicklung und nennen Frauen die Arbeitsplatzgewinnerinnen der globalisierten Marktwirtschaft.
Ein Grund für den weiblichen Vormarsch im formellen und informellen Sektor ist, daß junge Frauen heute mehr Bildung als Einstiegskapital in den Erwerbsmarkt mitbringen. Ein zweiter ist die Flexibilisierung der Arbeitsformen. Immer mehr Gelegenheits- und Teilzeitjobs werden angeboten. Zunehmend werden Arbeitskräfte flexibler eingesetzt und Arbeitsplätze aus dem formellen Sektor in den informellen verlagert. Staatliche Schutz- und Regelmechanismen verlieren ebenso an Bedeutung wie Gewerkschaften. Staatliche Wohlfahrtssysteme, die lange ein Entwicklungsziel für Länder des Südens waren, brechen zusammen. Soziale Absicherung der Erwerbstätigen erscheint jetzt nur noch auf der Kostenseite.
Von der Reservebank in die Kampfarena
Der gesamte Arbeitsmarkt wird unsicherer, für Männer wie für Frauen. Infolge dieser Veränderungen sind Frauen keine Reservearmee mehr, sondern wirklich Teil der Arbeiterschaft auf dem globalen Arbeitsmarkt. Das behauptete jedenfalls Guy Standing von der International Labour Organization (ILO) der UNO kürzlich auf einer Tagung in Den Haag. Dort hatte das renommierte „International Center for Research on Women“ WissenschaftlerInnen, VertreterInnen von Geber- und nichtstaatlichen Organisationen zusammengebracht, um Erfahrungen und Perspektiven zur Frauenerwerbsarbeit auszutauschen. Die Weltbank sieht den Hauptgrund für die wachsende Zahl weiblicher Beschäftigter in ihrem Mantra Wachstum. Wirtschaftswachstum sei frauenfreundlich, weil es geschlechtsgebundene Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt schrumpfen ließe. Armut würde dadurch beseitigt – „nach einer Übergangsphase“!
Wie lange denn wohl diese Übergangsphase dauert, fragen Frauen aus Ländern des Südens. In Mexiko zum Beispiel dauert sie bereits 14 Jahre – so lange wie der IWF-Reformprozeß. Und die Armut wächst, Frauen sind arm, obwohl sie ein Einkommen erwirtschaften, und ihre Stellung innerhalb der Familie hat sich dadurch keineswegs automatisch verbessert. Die mexikanische Soziologin Brigida Garcia vertritt die Gegenthese zur Weltbank: In Mexiko steigt der Anteil der Frauen an der Erwerbstätigkeit, weil es wenig Wachstum gibt. Die Löhne sind dramatisch gefallen. Die Familien können nur überleben, wenn die Frauen ein Einkommen nach Hause bringen, denn der Männerlohn ernährt die Familie nicht mehr. Wo Frauen alleinerziehend oder Haushaltsvorstand sind, hängt die tägliche Tortilla vollständig von ihren „einkommenschaffenden Aktivitäten“ ab.
Dieses klangvolle Wortgebilde der Entwicklungspolitik steht für die Tatsache, daß die Frauen keine formelle Beschäftigung finden, sondern sich selbst im informellen Sektor eine Nische und ein Einkommen suchen müssen. Eben dies ist in Mexiko im vergangenen Jahrzehnt geschehen. Durch den verstärkten Einsatz von Technologie werden Frauen bereits wieder aus der Exportindustrie verdrängt. Heute arbeiten – anders als Mitte der 80er Jahre – mehr Frauen im Straßenhandel als im produzierenden Gewerbe und in der Industrie.
Auch in Simbabwe nötigt die wirtschaftliche Not Frauen zum Einkommenserwerb. Thoko Ruzvidzo vom „Zimbabwe Women's Ressource Centre and Network“ berichtet, wie sich dadurch die soziale Wertschätzung weiblicher Erwerbsarbeit verändert. Wenn vor zehn Jahren ein Mann eine berufstätige Frau heiratete, warnte seine Mutter vor zu viel Selbständigkeit der geldverdienenden Schwiegertochter. Heute warnen Mütter ihre Söhne vor nichterwerbstätigen Ehefrauen: eine Frau, die nur den „Haushalt verteidigt“, sei ein Problem.
Doch auch in Simbabwe ist das „Einkommenschaffen“ ein wahrlich hartes Brot für Frauen. Infolge der Liberalisierung des Handels werden die lokalen Märkte mit importierten Waren überflutet. Produkte häuslicher und lokaler Herstellung sind nicht mehr konkurrenzfähig. Der formelle Sektor ist keine Alternative, denn der Staat entläßt viele Bedienstete – die meisten von ihnen Frauen. Neue Industrien werden nicht aufgebaut. So arbeiten nur noch zwei Prozent aller Simbabwerinnen im formellen Sektor.
Gleichzeitig gewinnt Einkommen immer mehr Bedeutung für das Überleben, die Lebenschancen und das Ansehen einer Person. Renu Banerjee von der Frauengewerkschaft SEWA in Indien bringt es auf die Kurzformel: „Geld bringt Power“. Ein Erfolgsrezept von SEWA in der nordindischen Stadt Lucknow war Qualitätssteigerung der Stickereien, die die Frauen herstellen. Hinzu kamen Organisierung, Solidarität und wechselseitige Hilfe, also kollektive Stärke.
Fazit ist jedenfalls, daß die Arbeitsplatzgewinne von Frauen nichts an der Tatsache ändern, daß Vollbeschäftigung im formellen Sektor für Männer wie Frauen weltweit eine Fata Morgana bleibt. Die meisten Frauen werden sich zukünftig selbst Jobs schaffen müssen, Marktlücken aufspüren und durch Spitzenqualität Konkurrenzfähigkeit erkämpfen müssen. Dabei ist Einkommen in den Überlebensstrategien armer Frauen nur ein Baustein. Ihre unbezahlte Versorgungsarbeit und nichtmonetarisierten Beziehungen von Austausch und Wechselseitigkeit sind ebenso tragende Säulen des Überlebens. Auskommen ist mehr als Einkommen.
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