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Bonner Sozialabbau: Im Stile eines „Jason“

■ betr.: „Helmut Kohl macht Millio näre“, „Wer vom Sparpaket er schlagen wird“ etc., taz vom 13. 9. 96 ff

Ich weiß nicht, wie viele Teile der Billighorrorfilm „Freitag der 13.“ eigentlich hatte, aber im Zuge der Verabschiedung des Bonner Sparpakets ist, von Videohändlern unbemerkt, eine neue Fortsetzung desselben entstanden, die wohl leider nicht auf Schulschlußklassenfeten zu sehen sein wird.

Im Stile eines „Jason“ dreht eine Kanzlermehrheit durch und nimmt mit der Kettensäge (vermutlich von Hans-Peter Stihl) alles auseinander, was ihr in den Weg kommt und was nicht reich, unternehmerisch tätig, kinderlos und männlich ist. Der „Marsch der Angeschissenen“ von Berlin ist dringend zur bundesweiten Nachahmung empfohlen.

Frei nach Hansjürgen Doss lautete das Motto: „Lieber würdelos als arbeitslos!“, denn wie führende Wirtschaftsvertreter schon jetzt verlauten lassen, sind „weitere Einschnitte“ unumgänglich, um den Standort Deutschland zu sichern [siehe dazu das Interview mit Hans-Olaf Henkel (BDI-Präsident): „Lafontaines Politik ist rückwärtsgerichtet“, taz vom 23. 9. 96. d. sin.].

Die „80-Stunden-Woche ohne Lohn“, wie sie die „Angeschissenen“ fordern, wäre etappenweise zu verwirklichen, indem man bei der Arbeitszeiterhöhung die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers von einer Vertragspflicht zu einer Gefälligkeit degradiert. Wenn Guido Westerwelle dann endgültig das Ende der „Gefälligkeitsdemokratie“ verkündet, ist der zweite Schritt getan.

Die „Finanzierung der Ausbildung durch Organspenden“ oder der „Selbstmord von Schwerkranken“ können auch nur ein erster Schritt zur Überwindung des „Vollkaskodenkens“ in unserer verweichlichten und leistungsfeindlichen Gesellschaft sein. Man könnte auch noch in anderen Bereichen radikal sparen.

Im Bildungswesen etwa, indem man Bildungsgebühren für Schulpflichtige einführt, um die bezahlen zu können, die Jungs und Mädels ab sechs Jahren außerschulisch arbeiten gehen müssen. Ein junger Mensch muß so etwas einfach aushalten können, und außerdem sollen die Bälger ja keine unbequemen Denker werden, sondern fleißige Arbeiter! – In Indien, Pakistan und so vielen anderen Ländern arbeitet man in diesem Alter ja schließlich auch schon, und das jahrelange Schulbankdrücken, ohne was dafür zu tun, das können wir uns wirklich nicht mehr leisten ...

Der altbewährte Grundsatz „Du hast die Pflicht, gesund zu sein!“ (wo hatten wir denn das bloß noch mal?) muß wieder allgemein verbindlich werden. Man könnte Kassen und Arbeitgeber ungemein entlasten, würde man, statt weiter Lohnfortzahlung zu gewähren, endlich eine Schadensersatzpflicht für krankgewordene Arbeitnehmer einführen bis zur Höhe des Produktionsausfalls. Dann würden sich alle das Blaumachen zweimal überlegen, und die Arbeitsdisziplin würde weiter gestärkt.

Außerdem würden diese Maßnahmen die Rentenkassen auf lange Sicht gesehen massiv entlasten. Denn wenn die Malocher dann endlich wieder mit 35 ins Gras beißen, anstatt sich bis 80 durchzujammern, braucht die Regierung auch das Rentenalter nicht mehr weiter hinaufzusetzen. Und überhaupt: Wessen Gehirnströme noch festgestellt werden können, der/die kann auch noch arbeiten!

Einen weiteren Vorschlag zur Deregulierung, der in die gleiche Richtung zielt, ist dann die Liberalisierung des Waffengesetzes. Auch so dürfte früher oder später die Zahl der RentenanwärterInnen sinken. Und die Mittel zur Familienförderung könnten in den Bereich der Genforschung umgruppiert werden.

Dann könnte sich unsere Wirtschaft wohl bald das notwendige Material an Arbeitskräften in der Retorte erzeugen, und man könnte getrost alle Alimentationen streichen für diese doofen Weiber, von denen tatsächlich noch welche die Frechheit besitzen, erst schwanger zu werden, ohne den Arbeitgeber zuvor um Erlaubnis zu fragen, und dann auch noch zu sagen, sie wollen das Kind zur Welt bringen.

So etwas Asoziales hat auch noch Ansprüche – da muß endlich durchgegriffen werden! Die fetten Jahre, die Zeiten des Nichtstuns sind nun vorbei. Jetzt muß endlich wieder Gewinndenken in diesen lahmen Laden einkehren, und die Menschen, ääh, Pardon, das Material hat gefälligst wieder zu funktionieren, anstatt Ansprüche zu erheben und dumme Fragen zu stellen! Schließlich leben wir im besten System, daß wir jemals hatten.

Und da müssen wir den braven Arbeitgebern, die uns das alles erst ermöglichen, nun auch ein bißchen Dankbarkeit zeigen. Oder etwa nicht?! Christian Rogler, Dresden

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