: Die UNO muß mehr Macht erhalten
Unter dem Deckmantel einer Reform der Vereinten Nationen verfolgen die Mitgliedsstaaten nicht selten nationale, egoistische Ziele. Doch ohne Reform wird die UNO nicht überleben ■ Aus Genf Andreas Zumach
Spätestens seit den Feiern zum 50. Geburtstag der UNO vor einem Jahr ist ein Stichwort in aller Munde: Reform der Vereinten Nationen. Das gilt auch für die diesjährige Generaldebatte der UNO- Vollversammlung, auch wenn deren erster Hauptredner, US-Präsident Bill Clinton, am Dienstag jegliche Äußerung zu diesem Thema unterließ. Nach wie vor verbinden die meisten der 185 Mitgliedsstaaten mit dem Stichwort „Reform“ aber nur selektive und oft gegensätzliche, nicht selten nationale Ziele. Voraussetzung für die Stärkung des UNO-Systems, einschließlich der 30 Sonder-und Spezialorganisationen, und sein längerfristiges Überleben wäre jedoch eine umfassende politische und organisatorische Reform auf sechs Ebenen:
Demokratisierung des gesamten UNO-Systems, Stärkung der Handlungskompetenzen im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich, Verbesserung der präventiven Handlungsmöglichkeiten, Neudefinition der sicherheitspolitischen Rolle und Instrumente, Neuregelung der Finanzierung, Verwaltungsreform und Entbürokratisierung.
Zur Demokratisierung des UNO-Systems müßte vor allem die Generalversammlung gegenüber dem Sicherheitsrat gestärkt, die Privilegien der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat, USA, Rußland, China, Großbritannien und Frankreich, abgeschafft und der Einfluß der Länder des Südens vergrößert werden. Bislang beschränkt sich die Demokratisierung jedoch im wesentlichen auf das Bestreben der beiden nördlichen Industriestaaten Deutschland und Japan, künftig ebenfalls mit ständigem Sitz und Vetomacht im Sicherheitsrat ausgestattet zu werden. Als Kompensation hierfür soll je ein Staat Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in den Kreis der Privilegierten aufrücken. Hierüber herrscht auf den drei Subkontinenten, auf denen 80 Prozent der Weltbevölkerung leben, jedoch kein Konsens.
Die Forderung nach Stärkung der Handlungskompetenzen der UNO in Wirtschafts, Sozial- und Ökologiefragen wird bislang vor allem von regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) sowie von wenigen Staaten des Südens erhoben. Innerhalb der UNO findet zu diesem Thema noch kaum eine Diskussion statt. Abgesehen von den spezifischen Handlungsmöglichkeiten z.B. des Hochkommissariats für Flüchtlinge oder des Welternährungsprogramms beschränkt sich die UNO-Kompetenz auf Beratungskonferenzen und die Erstellung von Studien. Anderen UNO-Konventionen wie jenen über die Rechte der Kinder oder den Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten fehlen Mechanismen zur Umsetzung. Der Sicherheitsrat und die Generalversammlung können laut UNO- Charta zwar handeln – notfalls auch mit Zwangsmaßnahmen –, aber das Abholzen von Regenwäldern in Brasilien und Kanada können sie nicht verhindern, obwohl das globale Ökosystem gefährdet wird. NGOs und Staaten wie Indien, Malaysia oder Mexiko kritisieren, daß während der letzten 15 Jahre sogar eine schleichende Entmachtung der UNO im Wirtschaftsbereich stattgefunden habe. In der Tat sind die Kompetenzen der einstmals für die Länder des Südens besonders wichtigen UNO-Organisation für Handel Und Entwicklung (UNCTAC) in die vom Norden dominierten Institutionen Weltbank, Internationaler Währungsfonds, G 7 und Welthandelsorganisation (WTO) verlagert worden.
Die Forderung nach Verbesserung „präventiver Handlungsmöglichkeiten“ zur Verhinderung von Katastrophen und gewaltsamen Konflikten wird zwar von Regierungen des Nordens wie des Südens sowie von NGOs immer wieder formuliert. Tatsächlich passiert aber das Gegenteil. Die Vorschläge, die UNO-Generalsekretär Butros Ghali bereits in seiner im Mai 1992 veröffentlichten Agenda für den Frieden machte, wurden zwar vielfach gelobt, von den Mitgliedsstaaten aber kaum umgesetzt. Zwar sind die UNO- Zentren in New York und Genf in der Lage zur Früherkennung und -warnung. Doch wenn Handeln gefragt ist, versagen die Mitgliedsstaaten der UNO immer häufiger die erforderlichen materiellen und personellen Ressourcen. Ruanda und Burundi sind hierfür nur die traurigsten Beispiele. Im Genfer Menschenrechtszentrum hat sich die Reform, die eine verbesserte Prävention zum Ziel hatte, im Ergebnis in ihr Gegenteil verkehrt. Die Bürokratie in der Zentrale wurde gestärkt, die Fähigkeit zum rechtzeitigen Eingreifen in einem potentiellen Konfliktgebiet geschwächt.
Anders als Butros Ghali in seinem jetzt vorgelegten Rechenschaftsbericht behauptet, kann von einer gelungenen Reform der sicherheitspolitischen Rolle und Instrumente der UNO überhaupt keine Rede sein. Seine eigenen Vorschläge aus der Agenda für den Frieden, eine ständige UNO- Truppe für friedenerhaltende oder -erzwingende Maßnahmen unter eindeutigem Oberkommando von Sicherheitsrat und Generalsekretär aufzustellen, wurden im Herbst 1992 von den USA, Großbritannien und Frankreich vom Tisch gewischt. Auch der Versuch, wenigstens von möglichst vielen UNO- Staaten grundsätzliche Zusagen zur Überlassung bestimmer militärischer Kontingente zu erhalten, die dann in einem konkreten Bedarfsfall schnell abgerufen werden können, ist weitgehend gescheitert. Inzwischen hat sich die Macht des Faktischen durchgesetzt: In Bosnien erteilte die UNO zwar das Mandat. Das Oberkommando und alle militärischen Entscheidungen liegen aber bei der Nato. Nach diesem Modell soll nach Vorstellung der Nato-Staaten auch künftig verfahren werden – zumindest in jenen Weltgegenden, in denen die Nato-Staaten eigene Interessen haben. Was in anderen Weltregionen passieren soll, ist völlig ungeklärt.
Zu einer Neuregelung der UNO-Finanzierung gehörte sowohl eine Anhebung der Beiträge aller Mitgliedsstaaten als auch eine Neuverteilung des Beitragsschlüssels sowie durchgreifende Maßnahmen, um Schulden auch wirklich eintreiben zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen