: Undemokratische Gesundheitspolitik
■ Arme und Kranke zahlen viel und kriegen wenig
Berlin (taz) – „Vorgelegt wird ein Kostendämpfungsgesetz, das in Wirklichkeit die Versicherten belastet“, so lautet die Kritik der Spitzenverbände der Krankenkassen an der dritten Stufe der Gesundheitsreform. Die Änderungen (siehe Kasten), die Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) gestern noch einmal als „richtungsweisend“ verteidigte, zielen darauf ab, daß eine Konkurenz zwischen den Krankenkassen die Kosten dämpfen wird.
Vorgesehen ist eine variable Gestaltung von Leistungen. Der Versicherte wird zwar künftig bei der Erhöhung von Beiträgen und Selbstbeteiligungen die Kasse frei wechseln können. Für die Ärmsten der Armen bleibt aber die bittere Wahrheit: Nur ein Teil der bislang von den Kassen erbrachten Leistungen wird noch erstattet. Was bleibt, ist eine reine Krankenversorgung ohne Anspruch auf Prävention, Kuren, Krankengymnastik und so fort.
Die Folgen dieser neuen Gesundheitspolitik sind schon jetzt absehbar. Künftig wird es zu einer Ausdifferenzierung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen kommen: Die Jungen und Gesunden werden Kassen mit niedrigen Beiträgen und wenigen Leistungen wählen können. Auf der Strecke bleiben die chronisch Kranken, Armen und Alten. Für ihre Versorgung müssen sie überproportional zahlen oder aber sich mit einer Unterversorgung zufriedengeben. Solidarprinzip, ade. Seehofer faßt das so zusammen: „Aspirin kann fast jeder bezahlen, eine künstliche Hüfte nicht.“
Schließlich werden die Patienten auch bei den Zahnarztkosten stärker zur Kasse gebeten. Da die Kassen nur noch einen bestimmten Festbetrag zu den Behandlungskosten beisteuern müssen, können die Zahnärzte mit den Patienten den endgültigen Preis frei aushandeln. Wer sich's leisten kann, wird mit schöner Prothese lächeln, andere halten ihren Mund besser gleich geschlossen.
„Diese Maßnahmen“, so Monika Knoche für Bündnis 90/Die Grünen, „gefährden das demokratische Selbstverständnis und eine zukunftsweisende Gesundheitspolitik in Deutschland.“ Julia Albrecht
Siehe Kommentar Seite 10
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