Wie sie wurden, was wir waren

■ Aus dem Bauch der Bestie: Ein Tag bei der taz Bremen von heute überlebt von Susanne Paas

10 Jahre danach, nach dem dramatischen Anfang der taz Bremen. Ich komme rein ins schöne neue Haus an der Schlachte, zur morgendlichen Redaktionskonferenz. Das fängt ja gut an: Außer mir sind noch fünf andere pünktlich, und ich kenne zum Glück immerhin noch einen: Tristan Vankann, einer der taz-Fotografen seit fast 6 Jahren, fast frisch von seinem Foto-Projekt aus Brasilien zurück. Die Neuen gucken mich mit einem freundlichen „Ja-bitte?“-Gesicht an. Ich erkläre brav, daß ich eine aus den Gründerjahren bin und für die Jubiläums-Ausgabe mal die taz von heute angucken will.

Das Outfit ist ja enorm geliftet: Großartig vor allem der weite Blick über Weser, Martinikirche und Teerhof. Richtige Schreibtische gibt es statt der Sperrmüll-Möbel, die unsere 86er Erstausstattung war. In Reih und Glied die Bände der taz-Lokalausgaben - ganz abgesehen von der kleinen CD-ROM, nach Stichworten sortiert für die taz aller Jahre samt Bremer Lokalteil. Viele richtige Bürostühle - natürlich wird und muß der legendäre Holz-Drehsessel, eine Erstausstattungs-Spende von Birgit Geissler, immer und ewig mit umziehen. Hier und da rückengerechte Sitzbälle, was Kritiker des neuen taz-Schicks als „AOK-Look“ belächeln. Richtige Postfächer mit richtigen Namensschildchen dran. Anscheinend immer noch unvermeidbar: das Gebirge von Altpapierkartons, die dem eigentlich schönen Redaktionsraum den Charme eines Recycling-Depots verleihen.

In der Küche sind zufällig gerade alle Kaffeetassen und Gläser benutzt. Hier tobt, wie vor 10 Jahren, der stumme Kampf der „Nicht-auch-das-noch“-Gefühle. Die Milch ist alle. Eine Spülmaschine hätten einige schon gern. Andere finden das nicht öko. Anke ahnt: „Dann steht das Teil voll mit sauberem Geschirr, und einer nimmt eine Tasse raus. Eine! Der nächste stellt dann seinen dreckigen Teller rein. Bloß nicht!“

In ihrer Kritik und Selbstkritik ist die taz immer noch hemmungslos. Intern führt das zu dem Effekt, daß praktisch alle finden: NIE wird mal was anerkannt! Kerstin Schneider (kes) findet die tägliche Zeitungskritik „penetrant, penibel, und man wird nie gelobt!“ Die Anerkennungsfrage, allerbestens bekannt auch aus anderen Firmen und aus Behörden, wird natürlich gern auf die taz geschoben. BuS hat das Problem auf seine nachahmliche Art gelöst. Er fragt die KollegInnen: „Liegt was gegen mich vor? Hat Dir mein Text nicht gefallen?“ und kassiert vorsätzlich am liebsten Lob, immer aber Beachtung: „Das muß man sich eben holen!“

Spontane Zeitungskritik als Start der Redaktionskonferenz: Heute wird in einer Unterzeile behauptet, Michael Augustin hätte die Fotos gemacht, aber es war Jochen Könnecke. Katja Ubben (kat) findet, der Aufmacher ist nur für Eingeweihte und führt Unwissende nicht ins Problem ein. Geschäftsführerin Anke Prochnau hat sich erbarmt, kommt mit Milch und dazu mit einem fertig gemixten Milchkaffee: „Für Dich!“ Hach, nett.

Vor den Redaktions-Pflichtterminen die Kür: Wer hat was? Was macht Ihr? Was ist mit Rosi Roland? Dora Hartmann, inzwischen Kulturredaktion, erinnert die Politikabteilung an die bosnischen Flüchtlinge: „Das Datum rückt näher!“ Immer noch gibt es wenig Kästchendenken und überhaupt keine Zuständigkeitsdebatten. Die taz von morgen ist das gemeinsame Produkt von allen hier am Tisch.

Wer geht zum Stadtwerke-Termin, mutmaßlich mit Häppchen? Das spart ja praktisch die Mittagspause ein, findet Joachim Fahrun, der mit seinen zwei Metern auf dem Archiv-Schrank Platz gefunden hat. Der Chef vom Dienst (CvD) für diese Woche, Jochen Grabler (J.G.), heute selbst ein bißchen spät gekommen, bleut allen ein: „Wir müssen ganz früh fertig sein heute! Die Druckerei hat viel zu montieren! Außerdem haufenweise taz-Glückwunsch-Anzeigen, also wenig Text! Auf der Aktuellen eine halbe Seite Straßenbahn-Anzeige.“

Der Kampf um den Fotografen beginnt. Kultur will drei Fotos in Auftrag geben. Die Politik zahllose weitere. Bis zum Nachmittag müssen die Bilder geschossen, entwickelt und computerfähig gescannt werden. Alles natürlich von dem einen Fotografen des Tages, heute Tristan, der sich den 6-bis-7-Tage-Job mit zwei anderen teilt.

Mittags liegen Lila Versuchungen für alle herum: Ausbeute der Pressekonferenz im Rathaus. Die Zurückgekehrten sind in erste Verhandlungen über Zeilenzahlen eingetreten. Früher gab es nur wenige, die sich klaglos für 48 Zeilen an den PC setzten, 48 Zeilen schrieben und sich der nächsten Aufgabe zuwandten: Michael Weisfeld zum Beispiel, mit seinen unnachahmlichen „Zur Erinnerung“-Zeilen im Text, für Themen-Neulinge. Die hätten der Volontärin, der die Einführung heute fehlte, sehr gefallen.

In den Nachmittagsstunden wird geschrieben, nachrecherchiert, herumtelefoniert, mit Rosi Roland Kontakt aufgenommen. Erste Seiten, komplett mit Fotos und Anzeigen, werden über Datenleitung in die Druckerei gebeamt. Technisch war die Bremer taz trotz bzw. wegen ihrer chronischen Armut immer bundesweit vorneweg: Ältere Technik hätte noch viel mehr (unbezahlbares) Personal gekostet.

Corinne Monti legt gerade letzte Hand an. Sie betreut, setzt und lay-outet Veranstaltungstips, das Wochenprogramm für donnerstags, Kleinanzeigen. Woanders gibt es dafür mehrere Leute.

Die Atmosphäre ist geschäftig-konzentriert, Großraumbüro-Gemurmel. Ich mache eine aktuelle Meinungsumfrage bei den zufällig Anwesenden: Was ist das Wunderbare an der taz? Was ist gräßlich und zum Verzweifeln? Daß man sich immer ums Mittagessen kümmern muß, ist schrecklich, findet aus aktuellem Anlaß Corinne. Und schön: „daß wir uns furchtbar anschreien und nachher wieder in den Armen liegen können.“

Silvia Plahl (sip), Berliner Anwerbung, bleibt cool: „Was mir Spaß macht? Die Buchstaben! Die Arbeit mit der Maus!“ und lächelt.

Der CvD sucht im PC seine Seiten zusammen: „Silvia, Spätzelchen? Steht der schon drin, Glintenkamp?“ „Noch nicht!“ Corinne: „ICH muß da gleich erst mal ran!“

Kaum hat Corinne die fehlenden Menue-Bringedienste beklagt, ruft eine Stimme aus dem Büro bzw. dem „Verlagsbereich“, wie man in Berlin sagt, bzw. Bureau, wie Albrecht Lampe eingeführt hat: „Essen ist da!“ Heute gibt es nämlich eine Sammelbestellung von Bodes, feinste Fischsachen.

Anke Prochnau, Geschäftsführerin, packt ihren Fisch aus. „Wenn in der taz mal was schief läuft, irgendwas, dann sind wir immer gleich schlimmer als die Bildzeitung, oder wir haben Schülerzeitungsniveau. Wenn wir als Arbeitgeber mal einen Vertrag nicht verlängern, sind das gleich frühkapitalistische Zustände. Entweder sind wir Spitze oder totaler Mist. Heute hatten wir einen Leserbrief „wenn ich ein Abo hätte, würde ich es kündigen“. Nie können wir mal normal menschlich sein! Dazu sind die Erwartungen eben zu hoch.“ Auf dem Tisch steht ein großer Blumenstrauß von einer Anzeigenkundin, die der taz zum 10jährigen gratuliert. Sowas gibt es auch.

Kai Günther, der den taz-Trägerdienst von Anfang an aufgebaut hat, findet gerade, daß es weit und breit keine so enge Leser-Blatt-Bindung gibt wie bei der taz Bremen, daß das Allerschönste die KollegInnen sind, „wenn sie gut drauf sind - früher gab es bei den Leuten allerdings viel mehr Idealismus!“, als kes hereinkommt, den letzten Satz hört und sofort explodiert. „Was! Als Redakteur verdiene ich überall sonst ein paar hundert, vielleicht tausend Mark mehr! Ich bin trotzdem hier, wenn das kein Idealismus ist!!“ Kerstin kennt die Nordsee-Zeitung und das Buxterhuder Tageblatt von innen und weiß, wovon sie spricht. „Solche Zeitungen leben vom Verlautbarungsjournalis, da hast Du mehr Geld und weniger Arbeit, aber die taz, das ist Journalismus, wie er sein sollte, frecher und respektloser.“ Anke, die andere Firmen und Arbeitsumstände kennt, vergleicht die Arbeit in der taz mit der schnöden Wirklichkeit in anderen Büros: „Hier bei uns kannst Du Verantwortung übernehmen, jeder kann das. Leider tut das nicht jeder. Das ist unsere Firma! Du kannst auch mal brüllen, daß sie endlich ruhig sein sollen. Du mußt dich nicht verstellen. Mußt nicht anklopfen, mit irgendeinem Vorzimmer Termine machen. Du kannst bei politischen Fragen Deine Meinung sagen, ohne Sorgen. Du mußt Dich nicht verkaufen.“

BuS scheut wie immer vor starken Worten, die mitten ins Herz gehen, nicht zurück. Er kommt neben seinem „Zeit“-Job treu für 2 Tage in der Woche zur taz und bekennt gern: „Mein Verhältnis zur taz ist stark von Dankbarkeit geprägt. Ich habe der taz meinen Beruf zu verdanken! Die 2 Tage taz sind für mich der Platz, wo ich die abgedrehtesten Ideen ausprobieren kann, inhaltlich und stilistisch. Und irgend jemand geht abends immer mit mir ein Bier trinken.“

Achim Matzat will „auch im Verlagsbereich die Großen gerne ärgern, das macht Spaß!“ Die taz hat von Anbeginn ihre ganze Kraft in die Redaktionsarbeit gesteckt und für Geschäftsführung, Anzeigenorgansiation und Verlagsstrukturen nicht viel Energie und Geld übrig. Achim gestattet sich ein bißchen Stolz auf das Team von heute und morgen im Verlags- und Akquisebereich: „Kompetenz und Erlöse gehen nach oben!“ Gerade konnten gute Akquisiteure gewonnen werden, und Unglaubliches ist inzwischen geschafft: Die taz gibt es in sämtlichen Stadtteilen Bremens im Trägerdienst zum Frühstück, oft schon in der Nacht davor.

Klaus Wolschner (K. W.), taz-Bremen-Gründer, seit einiger Zeit auch begeisterter Vater, hat längst und anhaltend für sich beschlossen: „Die taz ist für mich der schönste Arbeitsplatz, den ich mir vorstellen kann!“ Nach ihm wurde die 12-Std.-taz-Arbeitseinheit „1 wolsch“ benannt; kennt er Streß? „Die hausfrauliche Doppelbelastung, also das ist wirklich Streß. Ich rede da in der Krabbelgruppe oft drüber mit den anderen Müttern!“ Negativ findet K. W., „daß es keinen Chef gibt, dem man die Schuld geben kann. Für alles ist man selbst verantwortlich!“ Ausgerechnet er findet das, „der sich nie gern Chef nennen ließ, so lange man ihn nur entscheiden ließ, was geschehen sollte“, wie Klaus Schloesser mal in seiner taz-Zeit liebevoll geschrieben hat.

kat will taz-Volontärin werden und hat es schon voll drauf, mit mir zu reden und gleichzeitig ungerührt ihren Text weiter zu tippen. Sie kommt von der Berliner Morgenpost und weiß noch genau: Da durfte man nicht gegen die Verlagsmeinung schreiben, „zum Beispiel gegen die Stadtautobahn. Hier ist viel mehr Freiheit, auch für ganz andere Themen!“

Nebenan wässert Tristan die Fotos des Tages. Sein Labor im Dachgeschoß ist jetzt größer und prächtiger als das Kellerverließ früher, aber im Sommer mitsamt den Chemikalien einfach furchtbar heiß. „Das Chaos am Dobben hat mir besser gefallen als der AOK-Stil hier“, findet Tristan. Er kriegt es aber hin, die starke Personalfluktuation in der Redaktion positiv als „Verjüngung“ zu sehen: „Jetzt kann es erstmal eine Zeit so bleiben!“

In der CvD-Kommandozentrale versucht Jochen Grabler, die Ernte des Tages unter Dach und Fach und auf die Seiten zu bringen. Am doofsten findet er seinen monatlichen Kontoauszug, am besten, „daß es hier viel lustiger ist als in anderen beschützten Werkstätten!“ Sagt Grablerjochen, der Erfinder des Wortes „Piepmatzaffaire“. Inzwischen ist Nele Herrmann zum Korrekturlesen gekommen, eine Stunde zu spät, weil ihr niemand was vom vorgezogenen Redaktionsschluß heute gesagt hat. Das wird natürlich betritten. Nele korrigiert seit fast neun Jahren einmal pro Woche, bis vor kurzem ehrenamtlich. In den 80ern, als Achim Jaudas, damals noch Bremen, das mit den Tippfehlern einfach nicht mehr ertrug und eine Liste von freiwiligen Korrek-turleserInnen pflegte, fing alles an. Inzwischen gibt es den neuen Titel „QvD“ (QualifiziererIn vom Dienst). Nele findet den Korrekturjob einfach notwendig: „Allemal! Noch nie hab ich hier keine Fehler gefunden!“ Man glaubt es. Zerknirscht ist die taz über das jüngste „Koschnick“ ohne „c“, ausgerechnet zu 10 Jahre taz Bremen. Obwohl es doch viel besser geworden ist und sich manche Probleme auch von selbst erledigt haben: Rehagel oder Rehhagel? Sakuth oder Sackuth? In der Rechtschreibfrage kennt die taz keine Verwandten: Von der Beiratssprecherin Susanne Pas war erst jüngst die Rede. In meiner taz!

Trotz Trendy-Vollholzmöbeln und taz-Farben gibt es noch ein paar Relikte für Eingeweihte, von ganz ganz früher. Zum Beispiel meinen Ordner mit den „Fototips“, für den täglichen Bremen-Heute-Kasten. Und den Pappkasten für die „Lesebriefe“, feministisch ohne „r“. Wie oft hat die Kultur auch heute nach Dienstschluß ziemlich aufgeräumte Schreibtische ohne Müll-Appeal, in dem bildschönen Eckzimmer zur Weser hin. Kulturredakteurin und Theaterspezialistin Susanne Raubold (rau), die in Berlin und Liverpool gearbeitet hat: „Wahnsinnig innovativer Arbeitsplatz!“ Sie sieht die Beschränkung auf Lokal-Themen nicht richtig ein und schreibt ungerührt auch über Oldenburg, Bremerhaven, gern auch Groningen. „In der taz kann ich Themen entdecken und einfach machen, ohne Hierarchie, die mir das verbietet. Das Kempowski-Portrait z. B. wäre in einer anderen Zeitung so nicht möglich gewesen. In der taz, das ist einfach geistige Freiheit!“

„Klaus, sakra, der Text!!“ brüllt der CvD nebenan inzwischen drohend, und ergänzt vorsorglich fürs Oldie-Protokoll: „Mir ist noch eingefallen, was auch doof ist: samstags im Steintor immer für ALLES verantwortlich zu sein!“

sip klagt: „Ich habe Hunger!!“ Von vorn ruft Anke: „Ich hab noch ein Stück Brot!“ und schenkt ihr letztes angebissenes Käsebrot her. Von oben ruft Klaus: „Ich hab Stollen!“ Das ist auch die taz.

Neun Stunden Arbeit sind gelaufen, die letzten Seiten werden diesmal pünktlich losgeschickt. Im Konferenzraum wird der Stollen angeschnitten. Alle kommen. Besprechung: Wie organisieren wir die Oldie-taz? Wer macht Technik? Wie viele Seiten? Schwierig, ganz ohne Liebeserklärungen an diesen kleinen feinen Laden auszukommen.