: Billige Arbeiter oder ein großer Markt
Deutsche Unternehmen investieren seit 1989 stark in Mittel- und Osteuropa. Die Firmen sind dort führend, aber der Standort Deutschland muß laut BDI noch viel besser werden ■ Von Reiner Metzger
Berlin (taz) – Die deutschen Unternehmen investieren seit der Öffnung des Warschauer Pakts 1989 munter in Mittel- und Osteuropa. Laut dem Wirtschaftsministerium in Bonn flossen seitdem 12,8 Milliarden Mark aus Deutschland über Oder und Böhmerwald gen Osten, allein 1995 gut vier Milliarden. In einer Studie für den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hat das ihm nahestehende Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln nun die Erfahrungen von 470 deutschen Firmen abgefragt. Vorteil der sogenannten Reformländer bleiben demnach die niedrigen Arbeitskosten. Doch die Gründe für eine Investition sind weit differenzierter.
Die Musterländer Ungarn und Tschechien fungieren weitgehend als verlängerte Werkbänke. Ihre Binnenmärkte sind recht klein, aber es gibt viele „leistungsbereite und gut ausgebildete Mitarbeiter“, so die IW-Studie. Bei den befragten Firmen gehen drei Viertel der Investitionen in die Region allein an diese beiden Länder.
In Rußland oder der Ukraine ist die rechtliche und politische Situation noch zu unsicher. Der Horror vor den „Relikten der Planungswirtschaft“ schwingt noch mit. Außerdem ist die Arbeitsproduktivität nach Meinung der befragten Unternehmen zu niedrig. Dort bringen sie ihr Geld vor allem in Joint-ventures unter, um einen Fuß in den jeweils großen Markt zu bekommen. Bisher liegt die Summe der Ex- und Importe zwischen Deutschland und Rußland mit etwa 25 Milliarden Mark nicht höher als mit Tschechien oder Polen – trotz der milliardenschweren Importe von Öl und Gas aus dem ehemaligen Sowjetreich.
Der Anteil der weltweiten deutschen Auslandsinvestitionen, die nach Mittel- und Osteuropa fließen, steigt und lag 1995 bei neun Prozent. Der Handel mit dem Osten ist natürlich weit höher als die direkten Anlagen in Produktionsanlagen und wird von der Industrie derzeit auf jährlich etwa 125 Milliarden Mark beziffert. Weltweit ging die Hälfte der Investitionen der deutschen Wirtschaft nach wie vor in den Rest Europas, ein Viertel in „sonstige Industrieländer“ wie USA und Japan.
Deutsche Firmen „sind mit Abstand führend in Mittel und Osteuropa“, erkennt Ludolf von Wartenberg an, der Hauptgeschäftsführer des BDI. Doch sie hätten trotzdem einen Nachholbedarf in Sachen Globalisierung – laut Wartenberg vor allem in Asien. Dorthin seien im vergangenen Jahr nur 3,4 Prozent der deutschen Direktinvestitionen geflossen.
Wenn von Wartenberg die Bilanz der Direktinvestitionen betrachtet, so ist für ihn klar, daß der Standort Deutschland wieder attraktiver werden muß. Im letzten Jahr haben deutsche Firmen 48 Milliarden Mark im Ausland investiert, ausländische in Deutschland 14 Milliarden. Im ersten Halbjahr 1996 hat sich diese Relation stark verschlechtert. Von Wartenberg sieht daher die flexiblen Ladenöffnungszeiten und die „Reduzierung der Sozialbudgets um gerade 3,2 Prozent“ nur als einen Anfang.
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