piwik no script img

Mausebär ist Steuerflüchtling

Steuersparen leichtgemacht: In Deutschland sind die Staatskassen leer, in Luxemburg quellen die Tarnkonten der europäischen Steuerhinterzieher über. Ein Reisebericht aus dem Inneren der Geldtempel  ■ Von Werner Rügemer

Für meinen ersten Besuch in Luxemburg wollte ich mir die einheimische Währung beschaffen. Also ging ich in Köln in die Filiale der Deutschen Bank und wollte 200 DM in luxemburgische Franken wechseln. Der Angestellte blickte mich fragend an: Luxemburgische Franken? Ich kann Ihnen belgische Franken geben, die haben denselben Wechselkurs, damit kommen Sie viel besser durch. Daß die Währung des drittgrößten Finanzplatzes in Europa und des siebtgrößten in der Welt eine Fiktion ist, hatte ich schnell gelernt.

Den Besuch in Luxemburg hatte ich in Düsseldorf vorbereitet. Der Regierungsdirektor in dem etwas ärmlichen Büro am Ende eines endlosen Behördenflurs freute sich, daß jemand sich für seine Arbeit interessierte. Hans-Joachim Hesse holte Unterlage um Unterlage aus den Tiefen verschiedener Resopalschränke und Regale. Ich will die einzelnen Unterlagen ebensowenig aufzählen wie die köstlichen Tassen Behördenkaffees, die der zunehmend vertraulicher gurgelnden Einfach-Kaffeemaschine entsprangen. Die 92 Steuerfahnder der Oberfinanzdirektion haben bisher 10.500 Einzelverfahren gegen deutsche Staatsbürger der Dresdner Bank wegen Steuerhinterziehung über Luxemburg in Gang gesetzt.

Die Finanzbeamten waren bei ihrer dienstlichen Zeitungslektüre auf eine Witwe aufmerksam geworden: Sie wollte das Erbe ihres Ehemannes antreten. Der hatte einen Teil seines Geldes über die Dresdner Bank Düsseldorf bei der Niederlassung in Luxemburg angelegt. Die Bank wollte das Geld nicht herausrücken, weil die trauernde Witwe nicht Nummer und Tarnnamen des Kontos kannte. Sie klagte vor Gericht, benannte eine Angestellte der Bank als Zeugin. Diese bezeugte, daß sie für den verblichenen Steuerflüchtling ein Konto unter dem Namen Mausebär angelegt hatte. Nanu, dachte der Regierungsdirektor: Tarnkonten sind in Deutschland verboten, siehe Paragraph 154 der Abgabenordnung! Drei Dutzend Steuerfahnder sicherten 40.000 Belege in Düsseldorfer Filialen und der Frankfurter Zentrale der Bank.

Neben Mausebär trafen die Jäger des verlorenen Staatsschatzes auf weitere Namen aus der deutschen Schmuse- und Märchenwelt: Schneewittchen überwiesen Millionen, ebenso taten Sterntaler und Pumuckl. Der bisher bekannteste unter den märchenhaft vermummten Staatsbürgern ist Unternehmer Peter Gelhardt. Er hat 18 Millionen Mark aus den Gewinnen seines Naturdarmunternehmens abgezweigt und mit Hilfe der Dresdner Bank standortflüchtig im Großherzogtum angelegt. Zu Hilfszwecken hatte ihm sein Anlageberater eine Aktiengesellschaft in Panama gegründet. Wirtschaftsprüfer testierten die gefälschte Bilanz, andere Unternehmen beglichen fingierte Rechnungen.

Nun wollte ich das Märchenland besuchen, in dem Mausebär & Freunde die schwarzen Millionen vor den scharfen Krallen des bösen Bundesadlers in Sicherheit bringen. Ich fuhr bei Wasserbillig mit dem Bummelzug über die Staatsgrenze. Meine Aktentasche, mit Unterlagen des Regierungsdirektors aufgebläht, wollte kein Zollbeamter sehen. Es gab keine Zollbeamten. Zuerst suchte ich den obersten Währungshüter des Großherzogtums auf. Vor vielen Jahren war Pierre Jaans zum Generaldirektor des Institut Monétaire Luxembourgeois ernannt worden. Er überreichte mir das Gesetz vom 20. Mai 1983. Es beginnt, in deutscher Übersetzung: „Wir, Hans, von Gottes Gnaden Großherzog von Luxemburg, Herzog von Nassau, in Übereinstimmung mit dem Oberhaus und dem Abgeordnetenhaus, ordnen an: Es werde gegründet eine Einrichtung des öffentlichen Rechts. Sie trage den Namen Luxemburgisches Währungsinstitut.“

Die oberste Aufgabe des dergestalt niedergekommenen Instituts ist es, das Zahlungsmittel Luxemburger Franken in Metall und Papier mit dem Konterfei des göttlichen Hans zu emittieren und den Umlauf streng zu kontrollieren. Warum dieses Zahlungsmittel andererseits nicht gebraucht wird, erklärte mir Jaans ebenso einleuchtend: Luxemburg hat seit 70 Jahren eine Währungs- und Wirtschaftsunion mit Belgien, Zahlungsmittel ist der belgische Franken. Das kleine Großherzogtum hat, so der Währungshüter, ein „institutionelles Gefälle“ gegenüber dem Ausland geschaffen: Bankgeheimnis, Steuerfreiheit für Ausländer, steuerfreie Holdings, Nummernkonten, liberalisierte Investmentfonds, Befreiung der Banken von der Mindestreserve. Die Abgaben der Finanzinstitute an den luxemburgischen Staat sind gering. Aber, schmunzelt der Währungshüter, sie verhelfen den 400.000 Untertanen des Herzogs von Nassau zum höchsten Wohlstand in Europa.

Danach zog ich durch die Prachtstraßen der Luxemburger Altstadt: Avenue de la Liberté und Boulevard Royal. Banken, Investmentgesellschaften und Treuhänder aus aller Währungen Länder zeigen ihre Schriftzüge an üppigen Jugendstilfassaden: aus den USA und der Schweiz, von den Cayman- Inseln, aus Holland, Brasilien, Dänemark, Japan, China und dem Heimatland von Mausebär und Schneewittchen.

Die wirklich neue Geldwelt aber tut sich vor der Stadt auf, im Grünen, auf dem Kirchberg. An den Boulevards Konrad Adenauer und John-F. Kennedy glitzern die neuen Geld- und Beratungspaläste. Die Autos der Beschäftigten verschwinden in den bankeigenen Tiefgaragen, ansonsten ist es fast menschenleer. Von außen sieht die Deutsche Bank Luxembourg S.A. aus wie die Bundeskunsthalle in Bonn. Das gläserne Drehportal weht mich hinein in die Schöpfung des Stararchitekten Böhm. Das Innere bildet eine runde Halle, vier Stockwerke hoch. Sie wird beherrscht von einer zehn Meter hohen Bronzeplastik. Von einem umlaufenden Banktresen knallt auf großen Plaketten das deutsche Alphabet von A bis Z. Folgsam stellen sich Herren und Damen beim Anfangsbuchstaben ihres bürgerlichen Namens an. Mausebär und Schneewittchen haben sich umstandslos enttarnt. Ein geschäftsmäßiges Raunen durchzieht den Tempel. In hinterem Teil dürfen sich die Standortflüchtlinge bei kostenlosem Obstsaft und FAZ für die Heimreise in ihren überschuldeten Mausebärenstaat rüsten.

Der hauseigene Sicherheitsdienst geleitet mich im gläsernen Fahrstuhl ins Besprechungszimmer der Direktion. Doktor Ekkehard Storck, geschäftsführendes Verwaltungsratsmitglied, weist aus dem Fenster: Dort unten stellt seine Bank viel Kunst in die grüne Natur. Am ehemaligen Römerweg blinken die mächtigen Granitklötze des Bildhauers Rückriem. Storck kann sich auf den Rechtsstaat in dessen nassauischer Gestalt berufen: Nummernkonten sind legal. Der Kommandeur des einen Bataillons der deutschen Mausebär-Armee erläutert, wie er das institutionelle Gefälle des Großherzogtums seit 1970 genutzt hat. Seine Bank hat nie darauf bestanden, daß die günstigen Gesetze auch in Deutschland oder in der Europäischen Union verabschiedet werden. Für ein Linsengericht an den göttlichen Hans hat er hier die Reichtumsmehrung der flüchtigen Stützen der deutschen Gesellschaft übernommen. Wenn der erfolgreiche Banker über das kleine Großherzogtum spricht, kommt er ins Schwärmen. Einen so schönen schlanken Staat gibt es sonst kaum in der Welt der modernen Demokratie. Schauen Sie, sagt er freundlich, in diesem kleinen Land sind die Wege kürzer. Hier kann man direkt mit der Regierung sprechen über Dinge, die ein großes Unternehmen bewegen.

Dann ging ich hinüber zum nächsten Kunst- und Nummerntempel im Reich des Herzogs von Nassau. Die blauschimmernde Banque Générale ist die zweitgrößte der einheimischen Banken. Paul Meyers, geschäftsführender Direktor, führt mich zuerst in die Kunst seines Hauses ein. Im Foyer fangen zwei Gemälde im Format vier mal fünf Meter den Blick ein: Das linke bedeutet das Ende des Sozialismus, das rechte das Ende des Kapitalismus. Meyers kommt auf seine Sorgen zu sprechen: Die 10.500 Ermittlungen gegen Mausebär & Co beunruhigen ihn. Wenn die detektivischen deutschen Staatsdiener nicht nur gegen die Dresdner Bank ermitteln, sondern auch gegen die 71 anderen deutschen Banken im Großherzogtum, was dann? Werden Mausebär und Schneewittchen zu anderen Herzogtümern flüchten?

Der oberste Bankenfunktionär des Großherzogtums erläutert: Alle Staaten Europas sind Finanzoasen für Ausländer. Deutsche legen ihr Vermögen nicht nur in Luxemburg, sondern auch in der Schweiz, in Österreich, Belgien, Frankreich, Holland und Dänemark an. Und Österreicher, Belgier und Dänen legen ihr Geld in Luxemburg, Holland, Spanien an und umgekehrt und kreuzweise. Pinocchio, Arlette und Barbie, Hendrik, Felipe und Konstanze treibt es in die Nachbarländer. Die märchenhaft vermummten Staatsbürger und Unternehmen Europas sind auf der Flucht. Sie entziehen ihren Staaten die Milliarden, die den verschuldeten öffentlichen Haushalten fehlen. Nur eine europäische Regelung würde das Problem lösen, sagt der kunstsinnige Bankier. Aber sie würde ihm nicht gefallen, gesteht er mit einem tiefen Seufzer.

Die Banker im Großherzogtum machen mir klar: Sie sind global players mit Niederlassungen und Beteiligungen zwischen Guernsey und Singapur. Sie wollen die Währungsunion, aber noch mehr wollen sie das „institutionelle Gefälle“ à la Luxemburg fortsetzen und ausbauen. Doktor Storck blickt zufrieden hinaus zu den Rückriem-Skulpturen auf dem grünen Rasen des Kirchbergs. Er weiß, daß seine Mausebären ihm folgen werden. Ohne Erbarmen mit dem Reich des obersten Nassauers hat der Deutschbanker neue Herzogtümer im Blick. Mausebär, Pinocchio und Arlette können ruhig schlafen. Die Banken wachen.

Als ich vom Kirchberg im Daimler-Benz der Deutschen Bank eilig aus der Tempelzone gefahren werde, macht der freundliche Chauffeur einen Umweg. Er hat Zeit. Er zeigt mir das großherzogliche Palais in der Luxemburger Altstadt. Die Wachsoldaten in ihren Phantasiekostümen paradieren mit preußischem Stechschritt. Oder ist es ein anderer Stechschritt? Der Chauffeur weiß es auch nicht, er lacht. Dem Palais gegenüber steht mit verhangenen Fenstern die Filiale der Dresdner Bank. Vor ihr stauen sich Mausebären und Pinocchios, diesmal als Touristen gekleidet, und fotografieren in begeisterter Unschuld den hübschen schlanken Staat. Bei Wasserbillig bringt der Bummelzug meine noch dickere Aktentasche durch das malerische Tal der Moselle wieder über die Staatsgrenze. Ich werde den Jäger des verlorenen Staatsschatzes in Düsseldorf anrufen. Sein Kaffee war der beste.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen