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Ein Ende der Demütigung

■ Grüne schlagen neues Konzept zur Sicherung des Lebensunterhaltes vor

Bonn (taz) – Betteln um ein paar Schuhe, demütigende Fragen nach den finanziellen Verhältnissen, quälende Ungewißheit, ob die Behörde den neuen Kühlschrank auch wirklich genehmigt? Damit soll es nach Vorstellung der Bündnisgrünen bald vorbei sein. Gestern stellte die sozialpolitische Sprecherin Andrea Fischer in Bonn ein Diskussionspapier zur Grundsicherung vor, das allen Parteien unterbreitet wurde.

Danach sollen Alleinstehende, die ihren Lebensunterhalt nicht alleine bestreiten können, ein Anrecht auf 1.200 Mark pro Monat erhalten (in Ostdeutschland 1.000 Mark). Die „Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt“ im Rahmen der Sozialhilfe als auch die Arbeitslosenhilfe würde dadurch hinfällig werden. Konkreter als je zuvor schlagen die Bündnisgrünen vor, daß die gegenseitigen Unterhaltspflichten auf Ehepaare und nicht- eheliche Lebensgemeinschaften sowie deren minderjährige Kinder beschränkt werden. Eltern sollen nicht mehr herangezogen werden können. Bei Verweigerung von zumutbarer Beschäftigung wird der Grundsicherungsbetrag vermindert.

Die Mehrausgaben beziffert Andrea Fischer auf zehn Milliarden Mark. Diese Kosten sollen durch ein erhöhtes Aufkommen aus der Erbschafts- und Vermögenssteuer gedeckt werden. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf, der Mehreinnahmen von elf Milliarden Mark vorsieht, hatte die finanzpolitische Sprecherin Christine Scheel vor der Sommerpause vorgestellt.

„Armut ist kein Randgruppenproblem mehr“, begründete Fischer den Vorstoß. In den vergangenen 25 Jahren habe sich der Anteil der Sozialhilfebezieher vervierfacht. Jeder fünfte Arbeitslose und jeder fünfte Alleinerziehende sei auf das Sozialamt angewiesen. Bisher, so Andrea Fischer, könne derjenige, der am abgebrühtesten sei und am besten argumentieren könne, auch am meisten für sich herausschlagen. 30 Prozent aller Sozialhilfeberechtigten verzichteten gar aus Scham auf ihre Ansprüche. Ein diskriminierungsfreies System, so die Sprecherin, würde dies vermutlich ändern. Markus Franz

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