piwik no script img

Allein unter Punkern

Lieber Sheriff als Robinson: Bei Naturschutzwartin Petra Döring auf der Elbinsel Neßsand war  ■ Heike Haarhoff

Vor unliebsamem Besuch wäre sie hier sicher, hatte Petra Döring anfangs gedacht. Es gibt keine Fähre zur Elbinsel Neßsand. Das Motorboot, das allein am Ponton jederzeit anlegen darf und die einzige Verbindung zum „Festland“ ist, ist die kleine, orange-rote „Neß“. Wer auf ihr mitfährt, bestimmen Inselwartin Petra Döring und ihr Mann Martin ganz allein: Die beiden sind die einzigen menschlichen Lebewesen auf der zehn Kilometer langen, naturgeschützten Insel Neßsand vor den Toren Blankeneses.

Ansonsten Dünen, wirres Gestrüpp, Wind, Gräser, Sandstrände, Käfer, Kaninchenlöcher und statt Straßen Trampelpfade. Bestenfalls. Naturschutzgebiet Neßsand, 170 Hektar groß. Gegen Sturmflut ragt ein Stahlbeton-Turm über die Insel, der ein wenig an einen DDR-Wachtposten erinnert und „wohl mit seinen 38 Metern Höhe den besten Schutz vor Katastrophen in ganz Hamburg bietet“; bei Ebbe ist die benachbarte Halbinsel Schweinesand zu Fuß erreichbar.

Rein „berufsbedingt“, versichert die 37jährige Döring, „sind wir hier. Mit norddeutschem Wetter, Tidefahrplänen und flachen Inseln habe ich eigentlich gar nichts zu tun“. Bis vor drei Jahren, als die Umweltbehörde die „Stelle einer Naturschutzwartin“ auf Neßsand neu besetzte. Petra Döring aus Kleve am Niederrhein, Tierarzthelferin und studierte Geographin, hatte Erfahrung als Aushilfe im Naturschutzgebiet Fischbek und „Lust, etwas Sinnvolles zu tun“.

Vögel und Pflanzen beobachtet sie seitdem auf Neßsand, mit dem Fernglas oder vor Ort; mit der Schubkarre ist sie regelmäßig unterwegs und befreit die Insel von angeschwemmtem Müll: „Die Leute werfen alles über Bord. Kaffeebecher sind richtig harmlos.“ Die meiste Zeit aber geht dafür drauf, sich durch „den Urwald“ zu schlagen und nach dem Rechten zu sehen: „Ich bin der Sheriff“, sagt Petra Döring, doch ihre „Privilegien“ lassen keinen Neid aufkommen: Manchmal ist sie rund um die Uhr im Dienst, im Herbst mit Gummistiefeln, Halsschmerzen und Regenjacke, im Sommer oft sieben Tage die Woche.

Dann nämlich entdecken Hamburgs Wochenend-Abenteurer, Ausflügler „auf der Suche nach dem Robinson-Gefühl“, Petra Döring verzieht das Gesicht, die Insel als Grill- und Partyparadies – „so sie ein Kajak, Motor- oder Segelboot besitzen“.

Bei schönem Wetter, seufzt die Naturschutzwartin, kommen sie in Scharen, ankern dort, wo Verbotsschilder Gegenteiliges fordern, trampeln eiligen Schrittes das Dünengras platt, verscheuchen so unwissend-gedankenlos Wiesenbrüter und anderes Getier, das einen der wenigen naturbelassenen Flecken Hamburgs vor Jahren als Reservat zugesprochen bekam. „Und ich muß die dann wegscheuchen, während die mir erzählen, daß sie Steuerzahler sind“ und das unwegsame Gelände beschreiten wollen. Nicht immer ein angenehmer Job, „manchmal komme ich mir vor wie bei der Polizei.“

Vor allem, wenn die wenig erbaulichen Gespräche mit den ungebetenen Gästen tagelang die einzige Kommunikation sind. „Da fühlt man sich schon einsam. Bei stürmischem Wetter war ich hier schon mal eine Woche vom Festland komplett abgeschnitten“, sagt Petra Döring. Ihr Mann – Computerfachmann in Langenhorn – stand am anderen Ufer. „Da halfen auch unsere Motorbootführerscheine nicht viel, die wir extra gemacht haben.“ Längst ist Petra Döring solchen Schicksalsschlägen gewachsen: Sie ist sowohl im Besitz einer Zweitwohnung (für die Wintermonate) als auch einer Tiefkühltruhe. Im übrigen, findet die Naturschutzwartin, tut das „Verzichtenlernen“ auch gut: „Wenn wir essen oder ins Kino gehen, freuen wir uns richtig.“

Neulich hat Petra Döring erstaunt Fuchsspuren auf Neßsand entdeckt: „Der muß rübergeschwommen sein.“ Und dann sind da die Turmfalken, die gerade strubbeligen Nachwuchs bekommen haben. „Ich kenne die kleinen Punker alle.“ Allein schon deswegen kann sie Neßsand gar nicht verlassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen