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„Verheerende Stoßrichtung“

Sozialsenatorin Fischer-Menzel greift Bürgermeister und Innensenator an: Randständigen-Gesetze sind „Kehrtwende“ der SPD-Politik  ■ Von Silke Mertins

In der Hamburger SPD bahnt sich ein neuer Machtkampf um sozialdemokratische Prinzipien an. Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) und der Eimsbütteler SPD-Kreisvorsitzende Heinz Uthmann (siehe Interviewkasten) reagieren mit Entsetzen auf die Pläne der Innenbehörde, gegen Obdachlose, Bettler und Junkies mit schärferen Gesetzen vorzugehen. In einem achtseitigen Brief an Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD), der der taz vorliegt, beschreibt Fischer-Menzel den Drucksachen-Entwurf „Maßnahmen gegen die Unwirtlichkeit der Städte“ als „völlige Kehrtwende der bisherigen Senatspolitik“ und „platten Populismus“. Hamburg würde „spezialrechtliche Normen als erstes deutsches Bundesland auf die Spitze treiben“.

Fischer-Menzel verlangt vom Innensenator daher, „den vorliegenden Entwurf dem Senat nicht zuzuleiten“, da er „nicht nur die Prinzipien sozialdemokratischer Gesellschafts- und Sozialpolitik in grundlegender Weise verändert“, sondern die Armen darüber hinaus als „Bedrohung für die Allgemeinheit“ und deren „Gedeihen“ dargestellt würden. Diese „verheerende Stoßrichtung“ verschärfe die ohnehin vorhandenen „gesellschaftlichen Spaltungstendenzen“.

Der Innensenator hatte in einer durch die taz bekannt gewordenen vertraulichen Senatsdrucksache das „derzeitige Erscheinungsbild“ Hamburgs beklagt, insbesondere die Beeinträchtigung der städtischen Attraktivität durch „Randständige“. Um Hamburgs „Visitenkarten“ von Bettlern, Obdachlosen und Junkies „freizuhalten“, müßten die Polizeigesetze verschärft werden. Nach Wrocklages Vorstellungen soll schon die Präsenz verelendeter Menschen – und nicht deren Verhalten – mit polizeilichen Repressionen (Verbringungsgewahrsam) geahndet werden können.

Die Sozialsenatorin sieht darin eine „fundamentale gesellschaftliche Wende für Hamburg“. Damit könne der Verelendete „folglich nur noch durch sein Verschwinden aus dem öffentlichen Blickfeld zum Gelingen des Gemeinwohls beitragen“.

Fischer-Menzel stellt erstmals in ihrem Brief auch den Erfolg des „Handlungskonzepts St. Georg“ in Frage. Eine behauptete Verbesserung der Situation am Hauptbahnhof durch polizeiliche Maßnahmen sei nicht eingetreten. „Aus den mir vorliegenden Unterlagen der Betreuungsgesellschaft für den Hamburger Hauptbahnhof mbH (BHH) vermag ich einen derartigen Effekt nicht ohne weiteres abzulesen.“ Ein Anwachsen der Drogenszene sei möglicherweise verhindert worden, doch zum Preis von größerer Aggressivität und Verelendung. „Dies deckt sich mit Berichten von Sozialarbeitern, daß verstärkte repressive Maßnahmen tendenziell eher zu einer Verschärfung negativer Erscheinungen (Pöbeleien, Aggressivität, Erschwernis helfender Interventionen) in der Szene führen.“

Außerdem, wundert sich Fischer-Menzel, habe Innensenator Wrocklage doch erst vor wenigen Monaten die Polizeigesetze geändert: „Die Schaffung weiterer rechtlicher Eingriffsmöglichkeiten gegen Drogenabhängige und andere auffällige Personen läßt leicht den Eindruck entstehen, wir hätten das falsche rechtliche Instrumentarium geschärft.“

Nicht nur der Innensenator hat dieses Schreiben erhalten. „Angesichts der grundlegenden politischen Bedeutung“ der Drucksache hat die Sozialsenatorin den Brief auch an den Ersten Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) und die betroffenen Fachbehörden geschickt. Voscherau ist auch deshalb eine gute Adresse, weil er als Drahtzieher der Drucksache gilt, der der Innenbehörde das „Unwirtlichkeits“-Projekt angetragen hat. Den Ausgang des Frontalangriffs der Sozialsenatorin direkt gegen Wrocklage und indirekt gegen den Senats-Chef darf deshalb mit Spannung erwartet werden.

Heute Demo: „Bußgelder für Bettler? Ohne uns!“ organisiert von Hinz & Kunzt u.a. und mit Bischöfin Maria Jepsen, 11 bis 13 Uhr ab Spitalerstraße / Lange Mühren.

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