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Gaddafi rückt die Welt zurecht

■ Beim Besuch des türkischen Ministerpräsidenten fordert Libyens Staatschef einen kurdischen Staat. Erbakan schockiert

Sirte (AP/taz) – Mit harscher Kritik an der Kurdenpolitik der Türkei und der Mitgliedschaft in der Nato hat der libysche Staatschef Muammar el-Gaddafi den türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan vor den Kopf gestoßen. Erbakan nahm die vor Journalisten geäußerten kritischen Worte Gaddafis sichtlich schockiert auf. Beide trafen am Samstag abend in einem Zelt im Küstenort Sirte zusammen. Zuvor hatte der türkische Regierungschef mit dem libyschen Ministerpräsidenten Abdel Madschid Kaud eine Ausweitung der Handelsbeziehungen vereinbart.

Gaddafi sprach sich für einen eigenständigen Kurdenstaat aus. „Der Staat Kurdistan sollte seinen Platz im Spektrum der Nationen unter der Sonne des Nahen Ostens einnehmen“, erklärte er, und die Türkei solle ein Volk, das nach Unabhängigkeit strebe, nicht bekämpfen. Erbakan gelang es nur mühsam, das Gesicht zu wahren. „Wir haben kein Kurdenproblem“, sagte er nur, „wir haben ein Problem mit dem Terrorismus.“ Auf andere Kritikpunkte Gaddafis ging Erbakan nicht ein. Der Revolutionsführer warf der Türkei vor, sich mit ihrer Mitgliedschaft in der Nato an den Westen gebunden zu haben. Außerdem habe die türkische Regierung den USA erlaubt, von einem Luftwaffenstützpunkt aus den Irak anzugreifen. Auch die in jüngster Zeit verbesserten Beziehungen zwischen Israel und der Türkei geißelte Gaddafi. Israel müsse als Produkt des Zweiten Weltkriegs wie zuvor die Berliner Mauer und Jugoslawien von der Landkarte verschwinden.

Gaddafi dankte der türkischen Delegation, daß sie die wegen des UN-Flugverbots beschwerliche Reise auf sich genommen habe. Erbakan und seine Begleitung mußten von Tunesien aus mit dem Auto nach Libyen einreisen. Der UN-Sicherheitsrat hatte 1992 unter anderem ein Luftverkehrsembargo gegen Libyen verhängt, nachdem sich die Regierung in Tripolis geweigert hatte, zwei Männer auszuliefern, die verdächtigt werden, an dem Bombenanschlag auf den Pan-Am-Jumbo 1988 über der schottischen Ortschaft Lockerbie beteiligt gewesen zu sein.

Auf einer Pressekonferenz mit Kaud hatte Erbakan am Samstag vormittag angekündigt, das Handelsvolumen zwischen der Türkei und Libyen werde von 623 Millionen Dollar im vorigen Jahr auf zwei Milliarden Dollar erhöht. Dabei werde sein Land vor allem Öl von Libyen beziehen. Vor dem Ausbau der Handelsbeziehungen müsse Libyen jedoch die in den letzten vier Jahren bei türkischen Firmen aufgelaufenen Forderungen in Höhe von 320 Millionen Dollar begleichen.

Türkische Unternehmen bauten unter anderem das Gästehaus, in dem der türkische Ministerpräsident untergebracht war. Kaud bedankte sich bei den türkischen Firmen für deren Hilfe bei der Entwicklung des Landes, ging jedoch nicht auf die Schulden ein.

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