: „Man glaubt, man ist in Bosnien“
Leichtsinn war die Absturzursache zweier Kampfjets vom Typ Tornado im Allgäu. Konsequenzen hat die Luftwaffe keine gezogen. Über den Dörfern tobt weiter der Luftkampf ■ Aus Babenhausen Klaus Wittmann
Am 25. August 1995 stockte etlichen Augenzeugen im Unterallgäu der Atem. Sie beobachteten, wie über ihren Köpfen zwei Kampfjets vom Typ Tornado nach einer steilen Kurve aufeinander zurasten und wenig später kollidierten. Eine der beiden je 50 Millionen Mark teuren Maschinen des nahen Jagdbombergeschwaders 34 „Allgäu“ in Memmingerberg stürzte daraufhin bei Babenhausen in ein Feld, die andere schlug einige Kilometer entfernt neben der Autobahn A 8 bei Dettingen in einer Wiese auf. Die Piloten wurden dabei schwer verletzt, die Bevölkerung kam mit dem Schrecken davon. Jede der Maschinen hatte rund fünf Tonnen Treibstoff an Bord. Jetzt steht fest, daß die zwei Piloten und die beiden Waffensystemoffiziere durch „falsche Aufmerksamkeitsverteilung“ und eine „Fehleinschätzung der Situation“ sowie die Mißachtung vorgeschriebener Sicherheitskriterien die Kollision verursacht haben.
Dies teilte das Bundesverteidigungsministerium auf eine Anfrage der bayerischen Landtagsabgeordneten Elisabeth Köhler (Bündnis 90/Die Grünen) mit. Vor allem die Waffensystemoffiziere hätten es versäumt, „in der Annäherungsphase Entfernungen klar anzusprechen, um die Notwendigkeit einer Flugwegänderung einzufordern“, heißt es im Abschlußbericht des Generals für Flugsicherheit. Serienweise Fehler, die leicht verhängnisvoll hätten enden können, meint der Sprecher der Memminger Fluglärm-Bürgerinitiative (FBI), Ernst Scholl. Mit den „verschraubten Erklärungen aus Bonn“ wollen er und die rund hundert Mitglieder der BI sich nicht zufrieden geben.
Scholl weiß zahlreiche AnwohnerInnen des Nato-Fliegerhorstes Memmingerberg hinter sich. Genau wie sie kritisiert auch er, daß „diese gemeingefährlichen Übungen über unseren Köpfen nach wie vor durchgeführt werden“. Spätestens nach dem Unfall, allerspätestens aber nach der Erkenntnis, zu welchen verhängnisvollen Fehlern die Besatzungen fähig seien, müßten solche Manöver unverzüglich verlegt werden, dürften sie nur noch über unbewohntem Gebiet durchgeführt werden. Der Memminger Pfarrer Rainer Schunk ist der gleichen Ansicht. „Ich empfinde das als ganz großes Sicherheitsrisiko“, meint der Geistliche. Daß der Kommodore des Geschwaders erklärte, es habe sich bei dem Absturz um ein Phänomen gehandelt, bezeichnet Pfarrer Schunk als „blanken menschenverachtenden Hohn“.
Nach dem Absturz vergangenes Jahr sei es kurzzeitig besser geworden, inzwischen sei es eher noch schlimmer. Immer wieder müsse er den Religionsunterricht, aber auch Beerdigungen am nahen Waldfriedhof wegen dieser Flugbewegungen und des damit verbundenen Lärms unterbrechen. Ein paar Kilometer weiter, in der Flugplatzrandgemeinde Ungerhausen, halten sich die Kinder schon ganz automatisch die Ohren zu, wenn wieder einmal die Tornados über sie hinwegdonnern. Viele Mütter seien richtig sauer, weil einfach nichts geschehe. Die verhaltenen Proteste gegen den andauernden Lärmterror würden nahezu ungehört verhallen.
Doch nicht nur die enorme Lärmbelastung bewegt die Menschen in dieser Region, sondern vor allem die Angst vor neuen Unfällen. Eine junge Mutter aus der kleinen Ortschaft Dickenreishausen ist, wie sie sagt, total beunruhigt, „weil man ja nie weiß, ob der nächste nicht bei uns runterkommt“. Häufig würden die vereinbarten Ab- und Überflugrouten nicht eingehalten, würde ihr Haus direkt überflogen. Ihr zweijähriger Sohn Fabian leide unter akuten Schlafstörungen. „Inzwischen hat er auch regelrechtes Herzrasen.“ Ähnliches berichten Mütter aus umliegenden Ortschaften.
Frustriert von zahlreichen vergeblichen Protesten spricht der Bürgerinitiativenvorsitzende Scholl davon, daß „die ganze Region kaputtgeflogen“ werde. „Man glaubt wirklich, man ist in Bosnien und nicht im Allgäu. In Bosnien werden die gegnerischen Stellungen im Tiefstflug überflogen, um einzuschüchtern. Anscheinend soll bei uns auch die Bevölkerung eingeschüchtert werden.“ Scholl meint, daß die waghalsigen Flugübungen, die auch immer wieder speziell für Flugvorführungen bei Luftfahrtschauen im Ausland geübt werden, nicht mit dem Verteidigungsauftrag erklärt oder gerechtfertigt werden könnten.
Doch genau dies tut der Luftwaffensprecher. Hans-Dieter Poth weist darauf hin, daß in der Kombination Mensch und komplexe Technik nun mal Unfälle nie völlig ausgeschlossen werden könnten. Die meisten Luftkampfübungen fänden über der offenen See statt, ein Großteil der Tiefflüge im Ausland. Trotzdem könne die Bundeswehr weder auf Tiefflüge noch auf Luftkampfübungen über bewohntem Gebiet ganz verzichten. Und er fügt an, die Besatzungen der Luftwaffenjets gehörten zu den bestausgebildetsten der Welt.
Im Unterallgäu wird diese Aussage von nicht wenigen als Zynismus aufgefaßt. Schließlich bohrte sich knapp drei Wochen nach den Tornadoabstürzen ein weiterer Bundeswehrjet nur wenige hundert Meter von der nächsten Ortschaft entfernt in den bayerisch- schwäbischen Boden. Dabei kamen zwei Piloten der Luftwaffe ums Leben. Die Ursache dieses Unglücks ist bislang ungeklärt.
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