: „Wir haben nichts gegen Ausländer“
Die Trebbiner sind geschockt – zwei Neonazi-Überfälle in einer Woche. Sie wehren sich gegen den Vorwurf, ausländerfeindlich zu sein. Doch rechte Skins gibt es seit Jahren in der Kleinstadt ■ Aus Trebbin Jens Rübsam
„Bauarbeiter wollen nur noch weg“, titelt die Lokalzeitung. „Erneut ausländerfeindlicher Überfall in Trebbin“, heißt es weiter im Text. Ein Foto zeigt den 22jährigen Jan Weicht aus Klein Schulzendorf, ein Muskelprotz mit Stoppelglatze und Piraten-Augenbinde, der Anfang vergangener Woche einen 55jährigen italienischen Bauarbeiter fast zu Tode geprügelt haben soll. Ein anderes Foto zeigt zerdepperte Flaschen und zerstörtes Mobiliar – die Pizzeria „Chamäleon“ nach einem Überfall fünf rechtsradikaler Skinheads Ende vergangener Woche.
Trebbin am Samstag früh. Eine Kleinstadt im brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming, gut 4.000 Einwohner. „Blumenstadt“ wurde sie zu DDR-Zeiten genannt. Damals gab es noch die Gärtnerische Produktionsgenossenschaft, 15 Hektar unter Glas und Plaste. Rudi Ulrich fegt erst den Bürgersteig vor seinem Grundstück und dann den schmalen Weg zu seinem Haus. Das „Family Frost“-Auto klingelt sich durch die Straßen. Nichts zu sehen, nichts zu hören von den Ereignissen der letzten Tage. Selbst im „Chamäleon“ geht alles wieder seinen normalen Gang.
Alex, der Kellner aus Albanien, schließt das Lokal auf. Die Fensterscheiben sind repariert, die Bar ist aufgefüllt. Ungewöhnlich sind nur die drei Blumensträuße auf der Theke. Einen davon haben Katechetin Dorothea Fiedler und drei Kinder der Kirchengemeinde vorbeigebracht.
Trebbin zu DDR-Zeiten. „Es verging kein 1. Mai oder 7. Oktober, an dem wir nicht Hakenkreuze in der Stadt hatten“, erzählt Werner Grubert, Bürgermeister von 1968 bis 1985. Er mußte alljährlich die Schmiererein entfernen lassen.
Trebbin im September 1990. Einheimische Jugendliche und die mosambikanischen Vertragsarbeiter lieferten sich zwei Schlachten. „Die Schwarzen“, sagt Rudi Lehmann, ehemaliger Abschnittsbevollmächtigter, „haben sich manchmal wirklich aufgeführt. Die waren dann nicht mehr zu bremsen.“ Einmal drohte die Schlägerei außer Kontrolle zu geraten. Zusätzliche Polizeikräfte rückten an. Vier Wochen dauerten die Untersuchungen, dann „kamen die Schwarzen rein in den Bus“, erzählt Lehmann, „und mit Polizeibegleitung raus der Stadt“.
Trebbin 1992/93. Elga Schwensky entdeckte erste rechtsextremistische Tendenzen bei ihren Schülern. Die Schulleitung reagierte: Ausländische Jugendliche wurden eingeladen, um „urch direkten Kontakt Vorurteile abzubauen“.
Trebbin im Oktober 1995. 15 Jugendliche der evangelischen Partnergemeinde Weil am Rhein kamen von einem Ausflug zurück. „Auf dem Weg ins Gemeindehaus hielten zwei Pkws vor uns“, erinnert sich Pfarrer Walter Vehmann. Vier Jugendliche hätten neofaschistische Parolen geschrien, einer, stark angetrunken, sei ausgestiegen und habe die Kids vor sich hergetrieben. Ein Mädchen erlitt einen Schock, andere kamen mit leichten Verletzungen davon.
Trebbin Anfang September 1996. In einer Sitzung des Seniorenbeirates teilt Bürgermeister Georg John die Jugend in drei Kategorien. Die, die in die „Scheune“, also in den Jugendklub, gehen; jene, die sich in Parks und vor dem Kinderheim aufhalten; und die Neonazis. Vier Wochen später wurden die italienischen Bauarbeiter und andere Ausländer brutal überfallen.
Hubert Neubauer, der stellvertretende Bürgermeister, faßt die Bestürzung der Trebbiner in protokollarische Worte: „Wir sind alle tief betroffen.“ Polizist Lehmann sagt: „Das, was die mit den Italienern gemacht haben, ist eine große Schweinerei.“ Katechetin Fiedler: „Ich bin entsetzt. Der größte Teil der Trebbiner hat nichts gegen Ausländer.“ Die Gaben für das Erntedankfest werden Mitte Oktober mit einem Hilfskonvoi nach Rumänien gebracht. „Die Trebbiner haben viel gespendet.“ Am Mittwoch wird der Stadtrat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen. Die SPD will zu einem Schweigemarsch aufrufen.
Die Wohncontainer der italienischen Bauarbeiter sind verwaist. In der Küche darben fünf Körbe, gefüllt mit Weißbrot-Laiben. Auf dem Tisch steht eine offene Schachtel Frischkäse, auf dem Herd ein verschmutzter Alu-Topf. Ob die 25 Bauarbeiter zurückkommen werden? Firmenchef Enzo Martinello weiß es nicht. Er macht sich Sorgen. Ist Trebbin sicher? Ist es Deutschland überhaupt? Seit Freitag wird das Gelände der künftigen „Wohnparkidylle“ rund um die Uhr bewacht. „Die Polizei fährt jetzt abends auch öfter bei uns vorbei“, sagt George Sarkis, der Chef des „Chamäleon“, „aber die Angst wird bleiben“.
Samstag abend, kurz nach 18.30 Uhr. Antenne Brandenburg meldet: Der gesuchte Schläger Jan Weicht habe sich in Berlin freiwillig gestellt, gegen die anderen Tatverdächtigen werde ermittelt; gegen die fünf Beteiligten am Pizzeria-Überfall sei ebenfalls Haftbefehl erlassen worden. Im Park zwischen „Spar“ und neuem Parkhotel prangen an Wänden Hakenkreuze und rechte Parolen: „M. H., Du bist eine Türkenschlampe“, und „Wir singen deutsche Lieder, wir sind dem Führer treu, wir knüppeln alles nieder.“
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