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Einmal Pommes rotweiß, bitte

Die Tafel als Keimzelle der Zivilisation hat sich aufgelöst  ■ Von Manfred Kriener

Im 15. Jahrhundert erging die Aufforderung an die häuslichen Esser, sich doch bitte bei Tisch „nicht wie ein Schwein über die Speisen herzumachen, nichts Halbverspeistes in die Schüssel zurückzulegen oder mit dem Geräusch eines Pferdes zu trinken“.

Heutzutage sind solch gutgemeinte Ratschläge überflüssig. Die gemeinsame Tafel als Keimzelle der Zivilisation hat sich weitgehend aufgelöst. Sie ist von der Fernsehgemeinschaft als entscheidende Stätte familiärer Zusammenkünfte abgelöst worden.

Gegessen wird nicht mehr am Tisch, gemeinsam und behaglich, sondern zwischendurch, zerstreut und hastig, schnell und genußarm. Fast food ist das schnelle Essen, das dem Fast life entspricht. Es ist die effiziente Verschlankung der Nahrungsaufnahme. McDonald's und Co, die standardisierte Mahlzeit im Minutentakt amerikanischer Fütterungsanstalten, ist nur ein kleiner Teil der Fast-food- Seuche.

Auch zu Hause essen wir gehetzt und ohne Konzentration. Gastronomisch gesehen ist eher die Imbißbude die perfekte Entsprechung der schnellen Zwischendurchmahlzeit. Mit einem Anteil von einem Drittel der „Verzehrfälle außer Haus“ liegt sie in der amtlichen deutschen Freßstatistik an erster Stelle weit vor den Burger-Stationen (neun Prozent).

Auf dem Wege in die Büros, Fabriken und Schulen stehen die schnellen Esser vor den epidemischen Wurstbuden und Chicken- Grills, in den Bäckereien und Eduscho-Shops, die Aktentasche untergeklemmt und bestellen ihre Schweineohren, „Curry mit Darm“ und „einmal Pommes rot- weiß“. Was dann auf dem Pappteller liegt, ist heiß und fettig, mit einer Überdosis an süßscharfem Majo-Ketchup-Schlabber – das garantiert ein optimales Mouth- feeling, den wärmenden Sofortkick gegen soziale Kälte. Essen im Vorübergehen, im Rhythmus jener Produktivität, die längst auch den Nahrungsmitteln selbst ihre Authentizität und ihren Geschmack genommen hat. Auch die lieblosen Betriebskantinen und die halbstündige Mittagspause gehören dazu.

Verlorengegangen sind nicht nur Geschmack und Genuß, die Behaglichkeit gemeinsamen Essens. Auf der Strecke geblieben ist auch die Kommunikation. Der häusliche Tisch war über Jahrhunderte nicht weniger als der zentrale Ort der Zusammenkunft, an dem die Kinder in die Erwachsenenwelt hineinwuchsen. Hier fand Erziehung und Bildung statt, hier wurde miteinander geredet. Sonntags, wenn „die dicken Soßen blubbern“ (Degenhardt) findet das noch manchmal statt.

Doch während immer seltener richtig gekocht und gegessen wird, boomt der Absatz an Kochbüchern. Kein Widerspruch: Zumindest die bildliche Vorstellung, die Rezeptur des Genusses will man retten. Immerhin: Es gibt seit sechs Jahren eine Gegenbewegung zum schnellen Essen und Leben: Slow food!

Am 9. Dezember 1989 wurde in Paris unter dem Zeichen der Schnecke das Manifest für ein Recht auf Genuß verabschiedet. Slow food editiert inzwischen eine eigene, dreisprachige Zeitschrift und hat Mitgliedsgruppen in allen Teilen der Welt. In dem Manifest heißt es: „Der Homo sapiens muß seine Weisheit zurückgewinnen und sich von jener Hektik befreien, die ihn zu einer aussterbenden Art zu machen droht. Gegen den allgegenwärtigen Wahnsinn des Fast life hilft nur die Gelassenheit des sinnlichen Genusses. Sie gilt es neu zu entdecken und zu verteidigen.“

In der Bundesrepublik Deutschland war Slow food bisher noch ziemlich verschnarcht und von Gezänk blockiert. Gleichwohl gibt es Mitgliedsgruppen und Initiativen unter anderem in den Städten München, Münster, Ulm, Berlin, Dresden, Stuttgart, Passau, Frankfurt, Hildesheim, Überlingen, Osnabrück, Fürstenfeldbruck, Bremen und Mühldorf. Da könnte noch was draus werden.

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