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Oktoberfest und Tod Von Carola Rönneburg

In der just veröffentlichten „Frankfurter Erklärung“ wenden sich Schriftsteller, Verleger, Buchhändler, Journalisten etc. gegen die Rechtschreibreform. Zu Recht warnen sie nicht nur vor den Kosten, die entstehen, wenn Bücher und Nachschlagewerke neu gedruckt werden müssen. Die Rechtschreibreform, so die Unterzeichner des Appells, werde auch „Millionen von Arbeitsstunden vergeuden“ und „jahrzehntelange Verwirrung stiften“.

Das ist richtig. Doch was würde geschehen, wenn sich die schreibende Zunft konsequent weigerte, die neuen Regeln zu befolgen? „Stell dir vor, es ist Rechtschreibreform, und keiner schreibt mit“ – so oder ähnlich könnte der Slogan lauten, mit dem die Reformgegner in die Schlacht um Komma- und Orthographieregeln ziehen: Korrekturleser halten eisern an ihrem Grundsatz fest, daß „das“ in bestimmten Fällen mit „ß“ geschrieben wird. Schriftsteller veröffentlichen ihre Werke nur in Verlagen, die ihnen vertraglich garantieren, ihre Bücher niemals ins Neudeutsche zu übersetzen. Die Buchhändler wiederum versehen rechtschreibreformierte Literatur mit häßlichen, schwer zu entfernenden Aufklebern: „Warnung! Lektüre verwirrt!“ Und sämtliche Zeitungen und Zeitschriften des Landes verwenden weiter ihre bewährten Trennprogramme; darüber hinaus richten sie Interpunktionskonten für ihre Leser ein: Wer ein fehlendes Komma entdeckt, bekommt einen noch auszuhandelnden Betrag gutgeschrieben. Ich selbst halte mit einigen tapferen Genossen jene Rundfunkkollegen in Schach, die in einer „Berliner Erklärung“ die Abschaffung aller Kommata fordern.

Dann ist der Spuk auch schon vorbei, und die Duden-Redaktion sorgt mit einer Rückrufaktion für Ordnung.

Meinen Anteil aber an den Millionen von Arbeitsstunden, die folglich entfallen, will ich der noch zu planenden Schreibreform widmen und mich dabei auf Nachrichtenagenturen kaprizieren. Immer wieder nämlich muß ich Meldungen wie diese lesen: „Nach Wies'n- Besuch: Maurermeister erschlägt aus Eifersucht Fotograf.“ Wie es dazu kommen konnte, erklärt die Deutsche Presseagentur so: „Nach den bisherigen Ermittlungen des Münchner Polizeipräsidiums war ein Ehepaar aus dem mittelfränkischen Ansbach zu Besuch zu einem befreundeten Ehepaar nach München gekommen.“ Gemeinsam („beide Paare“) betrank man sich auf dem Oktoberfest und konsumierte vermutlich auch anschließend alkoholische Getränke („wurde in der Wohnung weitergefeiert“). Dann kam es zu Handgreiflichkeiten. „Als der Maurermeister bemerkte, daß seine Frau mit dem befreundeten Mann intim wurde“, beschreibt dpa die Szene, „schlug er seinem Opfer mehrmals einen schweren Gegenstand auf den Kopf.“

Ich stelle mir das so vor:

Die Maurermeistergattin hat den Ansbacher Besuch hinter das Sofa gezerrt. Die Ansbacher Ehefrau sucht in der Küche nach mehr Bier. Nach einer halben Stunde wird dem Maurermeister langweilig. Er blickt hinter das Sofa.

Maurermeister (stutzt): He, ihr da! Werdet ihr etwa gerade intim?

Fotograf: Freilich!

Maurermeister: Na, warte! (greift zum Marmoraschenbecher)

Auch das wird mich jahrzehntelang verwirren. Mindestens.

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