: Neil Young Junior
■ „Das Weeth Experience“ war im Tower
Die graue Schirmmütze hat der Frontmann ins Gesicht gezogen. An den uralten Schinken von Gitarre ist ein Wimmerhaken groß wie ein Kleiderbügel geschraubt.
Kein Zweifel: Gitarrist Christof wäre gern Neil Young. An die überirdische Größe des Altmeisters reichte „Das Weeth Experience“ bei seinem Konzert am Dienstag im Tower natürlich nicht heran. Dafür aber bewies das Hamburger Trio, daß man mit einer guten Portion Störgeräuschen die Leiche Gitarrenrock zu neuem Leben erwecken kann.
Die Stücke des Hamburger Trios begannen behäbig, bestanden aus bestenfalls drei, oft sogar weniger Akkorden. Das Erfolgsrezept ist uralt, Neil Young und Crazy Horse verstanden es bereits vor über 20 Jahren, aus Minimalideen furiose Improvisationsarien entstehen zu lassen. Neben den gespielten Noten gehörten aber beim Hamburger Improvisationsrock das gezähmte Störgeräusch schon auf dem hervorragenden Album „Planeth Weeth“ zum guten Ton.
Dank ihrer Fähigkeit zum virtuosen Umgang mit dem Geknister ungeerdeter Elektrokabel und dem Gepfeife überlasteter Röhrenverstärker konnten Das Weeth Experience auch im Tower aus einer alten Gitarristennot eine Tugend machen. Früher verzweifelte jeder Saitenakrobat, wenn unkontrollierter Lärm aus den Boxen drang. Heute provozieren die Hamburger kreischendes Feedback, um es trickreich zu zähmen. Live zeugte das rasselnde Zittern des permanent vibrierenden Snaredrum-Fells davon, daß die Saitenartisten ihre Verstärker scheinbar kaum vor dem Übersteuern bewahren konnten. Dann aber zauberten Basser- und Gitarristen-Finger an den Verstärkerreglern, bis die Tonhöhe des Feedbacks zum Song paßte.
Zudem erwiesen sich die Hamburger als Meister der Variation. Bestes Beispiel: „River of Destruction“. Stoisch droschen die Hanseaten das E und immer wieder das E. Spannung entstand nicht durch den Tonwechsel, sondern dadurch, daß eben dieser Kammerton mal als krachiger Akord, mal als klirrendes Echo und dann wieder als filigrane Einzelnote zum Ohr drang. So steigerte sich das monotone, aber fesselnde Stück bis zum erlösenden Refrain, einem Feuerwerk aus butterweich fließenden Akkorden.
Diese gelungene Wiedergeburt des Hippierocks genoß das Publikum in stimmiger Clubatmosphäre weitgehend sitzend. Das aber war durchaus als Kompliment für die psychedelischen Gitarren von Neil Young Junior gemeint - stehend kann man schließlich keine ordentlichen Joints rollen.
Lars Reppesgaard
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