piwik no script img

Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

... ist überall. Was so banal klingt, war nicht Allgemeingut zu allen Zeiten und paßt heute noch nicht jedem. So machten zur Jahrhundertwende die Franzosen Homosexuelle geographisch dingfest und sprachen von Homosexualität als vice allemand, dem deutschen Laster. Streng ideologisch verortete dagegen der sowjetische Schriftsteller Maxim Gorki das Problem: „Während in den Ländern des Faschismus die Homosexualität, die die Jugend verdirbt, ungestraft agiert“, schrieb er 1934 in der Prawda, „ist sie im Lande, wo das Proletariat kühn und mannhaft die Staatsmacht erobert hat, als ein soziales Verbrechen erklärt und wird streng bestraft.“ In den fünfziger Jahren schoben die Deutschen das Übel den Briten zu: „In England ist die Homosexualität eine ziemlich verbreitete Erscheinung“, mutmaßte der Spiegel 1956, „die nicht zuletzt durch das englische Erziehungssystem mit seiner scharfen Trennung der Geschlechter gefördert wird.“ Dabei hatte die britische Regierung gerade eine Studie vorgelegt, die das Gegenteil bewies: „Homosexualität existiert bei allen Berufen und auf allen Ebenen der Gesellschaft“, hieß es im „Wolfenden-Report“.

Damit war es zum ersten Mal amtlich: Homosexuelle sind überall. Aber auch in allen Berufen? Das hätten die Deutschen gerne geändert, und bereits 1952 schlug der damalige Bundesjustizminister Thomas Dehler den Justizverwaltungen in der Republik vor, den Zugang zu bestimmten Berufen für homosexuelle Männer zu verbieten, „z.B. Bademeister, Sportlehrer, Masseur, Jugendleiter“. Der FDP-Politiker kam zwar nicht durch mit seiner Idee, er war aber schon nah dran am Vorurteil. Denn daß Schwule – egal in welchem Beruf – eine Gefahr bedeuteten, bestätigte das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil von 1957. Darin war von „Sozialgefährlichkeit“ ebenso die Rede wie davon, daß „der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen“. Wohin das führt, auch darüber wußten die Richter Bescheid: „Der typisch homosexuelle Mann liebt den Jüngling und neigt dazu, ihn zu verführen.“

So viel vom obersten deutschen Gericht bescheinigte Monstrosität hält den schlechten Ruf aufrecht bis in unsere Tage. Flogen in den siebziger Jahren all jene Schwulen aus dem Schuldienst, die sich als solche zu erkennen gaben, so legte noch 1985 – zum ersten Höhepunkt der Aidskrise – der Spiegel einer ganz anderen Zunft das Berufsverbot nahe: den Sexualwissenschaftlern. Die seien zumeist homosexuell und „machen aus der Veranlagung einen Beruf“, eine „schlechte Voraussetzung für vorurteilsfreie, verläßliche Wissenschaft“. Schließlich: „Ein Blinder kann kein guter Augenarzt sein.“

Und heute – in der aktuellen Debatte um den sexuellen Mißbrauch von Kindern – ist es Focus, der die angestaubten Stammtischparolen reaktiviert. Im September ließ das Fakten-Blatt „Deutschlands führenden Sexualsoziologen Werner Habermehl“ zu Wort kommen, der den Mief der fünfziger Jahre wieder nach oben holt: „Pädophilie ist unter Homosexuellen nicht selten“, weiß Habermehl und legt – vorsichtig – die rechte Fährte: „Viele meiner Kollegen sind schwul, so daß sie oft sehr behutsam mit dem Thema umgehen.“ Die Tradition lebt fort, bei passender Gelegenheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen