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■ QuerspalteKein blauer Dunst

Die Bestie zeigt ihr wahres Gesicht. Der Kampf gegen alles Abweichende, gegen Drogennehmer, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, alleinerziehende Mütter, abtreibende Frauen und Raucher tritt im Namen einer zu beschützenden Kinderschar mittlerweile in die Endphase. Vor ein paar Wochen wurde Nikotin – im Namen der Kinder – zur Droge erklärt, gestern meldete Bild, der Bürgermeister von Friendship Heights (nahe Washington) wolle jetzt auch das Rauchen im Freien verbieten. Wer raucht, soll 150 Mark Strafe zahlen. In Amtsgebäuden darf eh nicht mehr geraucht werden. Alles im Namen der zu beschützenden unschuldigen Kinder, die ja auch hierzulande wieder herhalten müssen im ehrenwerten Kampf gegen Schmutz und Tollerei. Während neulich ein Achtjähriger wegen „sexueller Belästigung“ vom Unterricht ausgeschlossen wurde, weil er eine Mitschülerin auf die Wange geküßt hatte – bei Doktorspielen hätte es wohl einen Millionenprozeß gegeben –, können in New York viele Kinder nicht eingeschult werden, da die Stadt Schulgebäude verkauft hat. Was soll man sagen? Die Amis spinnen?

Was zur Zeit noch als Spinnerei erscheint – die Vorstellung, der Körper sei eine Maschine, und es sei die Pflicht eines jeden, sie nur gut zu warten, es gebe keinen natürlichen Tod, es gebe nur von Abtreibung („Todesursache Nummer 1 in Amerika“), Drogen, Nikotin, Cholesterin dahingemordete Opfer, und die seien wegen individuellen Fehlverhaltens selber schuld –, wird auch hierher schwappen und spürt man (dritte Zigarette) ja auch schon. Viele Raucher qualmen nur noch schuldbewußt auf kalten Balkonen, statt ihre Sucht zu genießen. Anderes dagegen gilt inzwischen als normal. Zum Beispiel sich vom Arzt genau verordnen zu lassen, wann man geschlechtsverkehren oder Geld verdienen soll. Neulich schrieb eine Leserin: „Mein Mann und ich haben vor ein paar Jahren auf Wunsch unserer Tochter mit dem Rauchen aufgehört und es bisher nicht bereut.“ Schande über die Eltern! (fünfte Zigarette) Detlef Kuhlbrodt

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