Gemurmel statt Gedenken

■ Im Moments ging die „Hommage an Rio Reiser“ in Hintergrundgeräuschen unter

Soll keiner sagen, die Werte der frühen 70er ziehen heute nicht mehr. Die „Hommage an Rio Reiser“ lockte am Mittwoch einiges Fußvolk ins „Moments“, das angesichts des Tanzverhaltens mehr Interesse an Reisers früherer Band „Ton Steine Scherben“ als an dessen Solo-Schaffen hatte. Da war nicht nur das erwartete Alt-68er-Publikum vertreten, sondern auch Jugendliche, die die „Scherben“-Songs als Golden Oldies in die Wiege gelegt bekommen hatten, sowie alle denkbaren Kleidungsideologien von angepunkt bis betont chic und vereinzelt ganz junge Menschen im Vorschulalter, die die wichtigen Dinge im Leben noch lernen mußten, wofür sich eine derartige Retrospektive ja durchaus anbot.

Zumindest potentiell, denn wirklich bedächtig ging es bei dieser Gedenkfeier nicht zu. Gegen ein rauschendes Fest für eine rauschende Persönlichkeit ist sicherlich nichts einzuwenden, aber leider ging im Programmteil einiges Hörenswerte im allgemeinen Bar-Gemurmel unter. Zum Beispiel die Ansprache von Nikel Pallat, Gründungsmitglied und späterer Manager von „Ton Steine Scherben“. Mit seinem viel zu leisen Mikrofon kam er gegen die Hintergrundgeräusche nicht an, wodurch nur die vordersten Reihen ihm folgen und die hinteren noch so sehr „Scheiße verdammt, lauter!“ schreien konnten – die Technik machte einen Strich durch die Rechnung. Er erzählte u. a. von seinem letzten Treffen mit Rio Reiser, bei dem der Sänger Gin-Tonic trank, was als Alarmsignal gewertet wurde, da ihm vier Jahre zuvor ein schwerer Leberschaden diagnostiziert wurde. Daß Drogen am Tod des erklärten Biokostkonsumenten gänzlich unschuldig waren, wie allseits behauptet, darf also angezweifelt werden. Außerdem brach Pallat eine verdiente Lanze für Reisers Solo-Karriere, die von Puristen gern als Anbiederung an den Mainstream gewertet wird. Man könne die Ideale von '71 eben nicht Eins-zu-Eins in die 90er übertragen, und man müsse das Revolutionäre den jungen Leuten überlassen. Schließlich sei die Rock-Musik der „Scherben“ inzwischen auch reichlich angestaubt. Er endete mit dem Appell an junge Musiker, in Rios Studio, das der Nachwuchsförderung zur Verfügung steht, Wichtiges aufzunehmen.

Ein ebenfalls ungehörtes Schicksal wurde dem live-musikalischen Programm zuteil. Klavier, Geige, Baß und Gesang kredenzten neun Stücke des Zelebrierten vorwiegend für die Interessierten, die sich direkt vor der Bühne einfanden. Die waren begeistert vom akustischen Arrangement der Stücke und der täuschend echten Reiser-Imitation durch Sänger Carsten Andörfer. Ein Treppchen höher aber war bereits das Piano nicht mehr hörbar, und der Gesang ging in den leiseren Passagen ebenso unter. Das galt auch für Andörfers Kurz-Lesungen aus der Reiser-Biografie „König von Deutschland“. Er las Zufallsseiten nach Publikumszuruf, und die Band improvisierte dazu.

Aber selbst bei den Aufmerksamen hinterließ sein Vortrag einen schalen Nachgeschmack. Bei aller stimmlichen Ähnlichkeit mit Reiser wirkte der Auftritt mit dekorativer Zigarette und allzu viel Koketterie zu sehr wie Performance mit undefinierbarem Ironiegehalt. Um den genialen Dilettantismus des frühen Reiser, dessentwegen die meisten gekommen waren, zu ehren, wäre es vielleicht ratsamer gewesen, eine beherzte Nachwuchsband aus irgend einem Jugendfreizeitheim zu greifen und „Ton Steine Scherben“-Songs herunterholzen zu lassen.

Andreas Neuenkirchen