: Alles in Bewegung
■ Neubeginn am Theater am Halleschen Ufer: Detektor spielt "The Lounge Dialogues", eine Soap-opera in eigener Sache
Dreieinhalb Jahre ist es her, daß das Theater am Halleschen Ufer als Spielort für freie Gruppen seine Pforten öffnete, und natürlich war das allen Medien eine Meldung wert. Mehr aber auch nicht. Wie sehr das Haus seitdem an Bedeutung gewonnen hat, zeigt die Reaktion auf den aktuellen Leitungswechsel am Haus. Keine Tageszeitung, kein Wochenmagazin, aus dem nicht das Konterfei des frischgebackenen Theaterdirektors Zebu Kluth entgegenprangte. Und zwar lange bevor es mit dem multimedialen Theater der Gruppe Detektor vergangene Woche zum programmatischen Auftakt kam.
Spartenübergreifendes Theater soll es in Zukunft geben, eine Vernetzung der freien Szene versucht werden. Setzte sein Vorgänger Hartmut Henne auf harmlos- schrille Unterhaltung mit Erfolgsgarantie, macht Kluth mit seiner Auswahl klar, daß – bei allem Pragmatismus – nicht das Jonglieren mit Auslastungszahlen, sondern ästhetische Kriterien an erster Stelle stehen sollen. Auch ohne eigenen Produktionsetat – die 1,2 Millionen Förder-Mark reichen nur für die reine Bewirtschaftung – will man ein eigenes Profil gewinnen. „Zusammenarbeit“ war dann auf einem der Schilder zu lesen, die der schlaksige, rothaarige Intendant, mitten in der Uraufführung von Detektors „The Lounge Dialogues“ etwas ungelenk und verlegen auf der Bühne stehend, dem verdutzt-amüsierten Premierenpublikum entgegenhielt, und „Ästhetik“ auf einem anderen. „Viel Ästhetik soll es hier geben“, übersetzte die Performerin Lindy Annis, die in „The Lounge Dialogues“ alles in Bewegung hält, eben auch den Intendanten.
„Ich gehe kurz raus und bin gleich wieder zurück“, sagt sie unentwegt. Spricht's und verläßt gemessenen Schrittes die Bühne, um gleich darauf zurückzukehren und, die eine Hand vor den Augen, in der anderen das Skript, von brennenden Schulen zu phantasieren. Aber nur kurz, schließlich ist sie gemeinsam mit Eric die Taktmacherin in dieser „Serie von politischen und persönlichen Verhandlungen in der Polo Lounge des Beverly Hills Hotel“. Die Bühne steht voller Mikrofone, und ohne diese elektronischen Geräte würde sich hier kein Mensch mehr unterhalten. „Siehst du mich?“ fragt Lindy irgendwann Eric, der in eine völlig andere Richtung schaut und nach einem Blick in sein Skript mit einem ins Mikro gesprochenen „Ja“ antwortet. „Death of a Theatre Group“ wird heute abend gegeben, versichert uns Eric (Hansen), der so etwas wie der Moderator und das Alter ego des Regisseurs ist. Die „theatre group“ ist natürlich Detektor, die vom Beirat für freie Gruppen kein Geld bewilligt bekommen hat, und daher ist auch „The Lounge Dialogues“ eine non-ending story, eine Soap-opera eben.
Mark Johnson, Regisseur, Textschreiber und Gründer von Detektor, hat die Fäden von „The Making of Lover's Report“ und „Hiroshima Melodrama“, seinen beiden letzten Produktionen, wieder aufgenommen. Und natürlich geht es wieder um „Gewissen und Gedächtnis“, um den Versuch, „dem vergangenen Geschehen durch immer neue Rekapitulationsversuche näherzukommen“. Nur ist alles unendlich viel dekadenter und melancholischer. Alexander Birntraum, im Hintergrund am Flügel sitzend, entlockt seinem Instrument herzbezwingende, schmelzend-schwere Töne. Wie gemacht für eine ebenso unterkühlte wie zerstörerische Liebesgeschichte, wie sie Frauke Havemann und Scott Heron vorführen. Alles ist im Fluß, kommen und gehen die sieben Akteure. Nichts läßt sich halten, auch nicht die zusammenhanglosen Sätze, die sich verwirrenderweise irgendwie doch aufeinander beziehen. Oder doch nicht?
Irgendwann fängt das Stück wieder von vorne an. Birntraum spielt auf dem Flügel. „Auftritt Annette“, sagt Nia, und Annette Klar kommt herein, im kleinen Schwarzen, und schwingt leise ihre Hüften. Lindy kommt – und geht wieder. Eric kündigt den Tod einer Theatergruppe an. Zwanzig Minuten geht das so, und es sind die besten der Aufführung.
Draußen über dem Eingang prangt neuerdings ein Kinoschild. Drinnen, am Kartenschalter, wird das Programm direkt neben einen ebenfalls neuen, entzückend orangen Streifen per Diaprojektor an die Wand projiziert. Eine schöne Inszenierung des eigenen ästhetischen Programms. Das Theater wird, dezent, zum Erlebnisraum. Und Geld gespart wird auch noch: Fortan braucht man keine Plakate mehr zu drucken, sondern nur noch die Lettern über dem Eingang auszutauschen. Michaela Schlagenwerth
11. und 12. 10., 21 Uhr, Hallesches Ufer 32
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen