: Unvermeidliche Paarungen
Wenn Romanhelden zu sehr reisen: Ulrich Woelk schickt seine Protagonisten in ein Amerika der Klischees. „Chaostheorie“ spielt auch 'ne Rolle ■ Von Niels Werber
Drei Deutsche. Kristin ist Ex-Mathematikerin, die eine Galerie in New York betreibt. Walter, ihr Mann, arbeitet als Börsenhändler in der Nähe der Wall Street. Der Journalist Jan, der Freund des Paares, kommt für zwei Wochen als ihr Gast in die USA, die er nicht mehr verlassen wird.
Drei Teile hat das Buch, Anfang, Mitte und Ende, doch hat Woelk die Reihenfolge verkehrt und erzählt die Mitte zum Schluß. Im ersten Teil taucht Jan weniger in die ganz den Erwartungen entsprechende (schwarze Taxifahrer, Skyline, Nichtraucherzonen, alles ohne Koffein und fettfrei) Welt der Metropole ein, sondern in die Eheprobleme seiner Freunde. Jan ist anscheinend 7.000 Kilometer gereist, um mit den Eifersüchteleien, Launen und gescheiterten Träumen eines seit Jahren zusammenlebenden Paares behelligt zu werden, von denen man nicht glaubt, daß sie erst 33 und 35 Jahre alt sind (so wie Woelk), ehe man es schwarz auf weiß liest.
Für Jan ist die Ehekrise ein Anlaß für einen Essay über Liebe und Sex, als Ehetherapeut taugt er gar nichts, denn seine Form der Liebe ist eine intensive und daher eher kurze Liaison, deren Geschäftsgrundlage unsentimental und moralfrei ist. Interesse am Beziehungsalltag nimmt Jan nur, als ein „weißer Streifen Haut“ zwischen Kristins Hemd und ihrem Jeansbund ihn daran erinnert, daß auch sie eine Frau ist, mit der er gern schlafen würde. Er entdeckt leicht beunruhigt, „daß ihn innerlich nichts daran hinderte, sich gegenüber seinem Freund als Schwein zu erweisen“.
Man wird sehen. Als Walter auf einer Vernissage in der Galerie seiner Frau feststellen muß, daß diese nackt für ein Foto eines dubiosen Künstlers Modell gestanden hat, spitzt sich die Lage derart zu, daß Jan der Erfüllung seiner Wünsche sehr nahe kommt. Ob er tatsächlich Kristin in einem dieser typischen Ghettowohnhausflure im Stehen „fickt“ (ja, solche Worte fallen, wohl um zu demonstrieren, daß man nicht spröde ist, dann heißt es aber wieder etwas geziert „Rosette“) oder dies nur in einem Jet-lag-Delirium träumt, bleibt fraglich, fest steht nur, daß er in einem Auto neben ihr aufwacht, und der Buick steht nicht in New York, sondern kurz vor Chicago. Jetzt könnte das obligatorische Roadmovie beginnen, ein Paar, das Hunderte von Meilen durch Landschaften fährt, die man aus Haribo- und Marlboro-Reklamen zur Genüge kennt, um schließlich in einem Motel, deren schäbige Zimmer in jedem Hollywoodfilm gleich aussehen, zur unvermeidlichen Paarung zu schreiten.
Statt dessen hebt sich Woelk dies (oder doch ähnliches) für das dritte Kapitel auf. Im zweiten kehrt Kristin von ihrem Ausflug heim, ihr Mann hat mit illegalen Spekulationen ein Vermögen verloren, ein „Freund“ hat ihn hereingelegt, seine getreue Ehehälfte versagt ihm nicht ihre Hilfe in dieser Stunde der Not. Dies ist Walters Kapitel, dessen glatter Banker-Charakter überraschend die Tiefe eines Patrick Bateman erhält. Nach einem wirklich erstaunlichen Bericht Walters über ein Treffen mit der Cheerleader-Barbiedoll Cindy, „der er nicht mehr zutraut, als zu telefonieren und zu vögeln“, und einem folgenreichen Ausflug Jans in die New Yorker Nacht, kann endlich die Mitte der Geschichte erzählt werden, deren Ereignisse bisher nur erahnt werden konnten.
Wir wollen nicht zuviel verraten, aber es ist, als ob Jim Jarmusch mit den Bewohnern der Kommune1 ein Roadmovie gedreht hätte. Die ganze Reise wird metaphorisch begleitet von der Erwartung des Aufschlags des Kometen Shoemaker-Levi auf einen Jupitermond – auch der Leser wartet nicht ganz umsonst auf etwas Singuläres und Zerstörerisches. Damit sind wir bei Woelks Stil, den man bereits als „unverwechselbar“ (Die Woche) lobte. Was hier auffällt, sind ständige Vergleiche. Eine U-Bahn fährt nicht vorbei wie eine U-Bahn, sondern „wie ein Achterbahnwagen ohne bunte Lackierung und blinkende Lämpchen“, wohl auch ohne Loopings und ohne Open air, könnte man ergänzen; und Ampeln sind nicht Ampeln, sondern „stillgelegte Gondeln“, „müde Lampions an einem Ort, an dem schon lange keine Party mehr stattfindet“ – soll das heißen, es gebe keinen Verkehr, den die Ampeln regeln – in New York? Tourismus ist wie eine „Wallfahrt“, der Tod wie eine „Reise, die sich nur einmal machen läßt“.
Wer solche Bilder für gelungen hält, der wird von Woelk so gut bedient wie von einer Diner-Kellnerin, die nur vom Tip lebt. Der Autor hat studiert, Geisteswissenschaften. Dies ist kein Manko, übel wird es nur, wenn man es einem Roman anmerkt. Und in der „Amerikanischen Reise“ wird recht penetrant doziert: über den „heroischen Impetus“ der Duellpraxis vergangener Zeiten, über die Geschichte der Vorrede im Roman als Marketinginstrument, über die Etymologie des Wortes „Erfolg“, über die „physikalisch- mathematischen Gesetze“ der „Chaostheorie“ etc.
Man wird auch tatsächlich belehrt, nicht immer aber auch unterhalten. Der Zusammenhang zwischen Chaostheorie, Astronomie und den „unwahrscheinlichen“ und doch einschlagenden Ereignissen der Erzählung liegt zwar auf der Hand, aber gerade deshalb ist es auch eher überflüssig, dauernd darauf einzugehen. Ja, ja, der Komet, das Chaos, die Liebe, der Tod. Man hat es bald begriffen. Daß alles nicht völlig banal wird, verdankt sich nicht zuletzt dem Epilog des Romans, der eine wirklich verblüffende Wende in die bislang erzählten Abläufe bringt und mit einer wunderbaren Liste von deutschen Vorurteilen über die USA demonstriert, daß Woelk um die Klischees weiß, die er bedient.
Mein Lieblingsaperçu aus dieser Liste ist, die Amis seien ein „Volk aus Guten, Bösen und Geschworenen“, aber ein paar Bonmots und einige originelle Beobachtungen machen noch keinen guten Roman. „Don't walk“ steht in Leuchtschrift auf dem Schutzumschlag – man wird nicht gerade meilenweit gehen wollen, um das Buch darin zu erwerben.
Ulrich Woelk: „Amerikanische Reise“. Roman, Frankfurt/M. 1996, S. Fischer, 257 S., 36 DM
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