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Große Kleinigkeiten

■ Die kleinste Bühne der Welt steht im Fundus Theater

Das Kleine dünkt nahbarer als das Große, weshalb es vom Menschen auch unbedachter ange- und übergangen wird. Es sei denn, es beinhaltet die Aura des Erlesenen, Exklusiven, die dann die Ehrfurcht erschafft. So scheint das Kleine immer eher kleinlich und das Große großartig. Die kleinste Bühne der Welt rückt dieser Kategorisierung ein wenig zu Leibe. Schon mit dem Namen erregt das Theaterprojekt Neugier und kommt damit groß raus: Die Schauspielerin Hedwig Rost und ihr Partner Jörg Baesecke tragen einen Koffer bei sich, der aufgeklappt eine Bühne bildet. Damit bereisen sie die Theater. Bisweilen öffnen sie den kleinen roten Vorhang der Bühne und lassen ihre Erzählungen dahinter und drumherum lebendig werden.

Am Samstag abend hatten sie im Fundus-Theater die schaurig-schönsten Geschichten dabei. Auf der Bühne grollten Riesen, und Sintfluten ergossen sich, wenn nicht in den Raum, so doch in die Phantasie des Publikums. Eine Bauernküche wurde auf der Kofferbühne aufgeklappt. Hier treffen Nachbarn zum Milchholen ein. Sie hatten eigentlich gleich nach Haus gewollt, aber dann beginnen sie sich Geschichten zu erzählen, zum Beispiel die mit dem merkwürdigen Titel Mond der scheint, die Toten fahren. Das Publikum hörte der unglaublichen Begebenheit von einer Witwe zu, deren verstorbener Mann eines Nachts wieder in ihrem Haus stand und sie zu einer Kutschfahrt überreden wollte. Ein Märchen von der Liebe über den Tod hinaus. „. . . warum soll ich mich fürchten, wo doch mein Liebster bei mir ist“, sagt sie ihm immer wieder tapfer, bis er ihr am Ende ein Grab schaufelt.

Oder man hörte das Geheimnis von Cola Fisch, dem Jungen, der – halb Mensch, halb Fisch – vom König geschickt wird, das Meer vor Sizilien auszuloten, und mit der bösen Ahnung zurückkehrt, daß Messina auf brüchigen Säulen in bodenloser Untiefe steht. Das Geheimnis nimmt er mit ins Meer. Colas Weg in die Stille spüren die Schauspieler mit einem hohen, angespannten Geigenklang nach und lassen die Zuschauer mit hinabtauchen in das Unergründliche.

Umrahmt werden die Nachtstücke von mittelalterlichen Volksliedern, Schattenspielen und hoher sprachlicher Präzision. Allerdings lenkt das enge Zusammenspiel der zwei Darsteller und das Arrangement um die kleine Bühne herum vom Inhalt mehr ab, als daß es ihn unterstreicht. Und die Frage ist, ob den Erzählern ihre kleine Bühne nicht allmählich zu eng wird. Was bedauerlich wäre, denn die großen Geheimnisse kommen ganz klein zur Welt und verabschieden sich im winzigen Augenblick.

Elsa Freese

Fundus Theater, Papenstraße 29, 4.–6. April, 20 Uhr

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