Die Österreicher sind europamüde

■ Am Sonntag finden die Wahlen zum EU-Parlament statt. Die Parteien stellen schillernde Quereinsteiger auf

Wien (taz) – Noch keine zwei Jahre ist Österreich Mitglied der Europäischen Union, und schon macht sich Europamüdigkeit breit. Obwohl die Parteien und auch die meisten Medien Funktion und Bedeutung des Europaparlaments immer wieder zu erklären versuchen, zeigt die Bevölkerung wenig Verständnis für das Hohe Haus in Straßburg, dessen 21 rot-weiß-rote Abgeordnete am Sonntag erstmals in direkter Wahl bestimmt werden sollen. Die von Sparpaket und Sozialkürzungen gebeutelten Österreicher erregen sich über die hohen Spesenpauschalen, die die Abgeordneten kassieren, auch wenn sie gar nicht reisen, und fürchten, daß die immer stärkere Einbindung des neutralen Alpenstaates mehr Belastungen als Vorteile bringen wird. Die Wahlen selbst wecken wenig Interesse, das bewiesen die niedrigen Einschaltquoten bei der Fernsehdebatte der Parteichefs am 2. Oktober.

Da die geringe Attraktivität der ersten Europawahlen vorauszusehen war, stellten die meisten Parteien nicht altgediente Kader auf, sondern schillernde Quereinsteiger, die sich in den Medien einen Namen gemacht haben. Bekannteste Kandidatin ist laut den Umfragen die Fernsehjournalistin Ursula Stenzel, die von der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) ins Rennen geschickt wird. Daß sie, anders als die Parteiführung, einen Nato-Beitritt und die Aufgabe der Neutralität nicht ohne Volksabstimmung beschließen will, tut nichts zur Sache. Es beweist vielmehr, daß auch die Parteien den Klub in Straßburg nicht so ernst nehmen.

Auch der Zweite auf der ÖVP- Liste ist kein Parteisoldat: Karl Habsburg, der sich, je nach Gelegenheit, als Land- und Forstwirt oder Student und Talkmaster vorstellt, ist niemand geringerer als der Enkel des letzten österreichischen Kaisers, der, anders als Vater Otto, auf alle Thronansprüche verzichtet hat und daher in der Republik leben darf.

Einen besonderen Coup landete wieder einmal Jörg Haider, der rechtslastige Kanzlerprätendent der Freiheitlichen, der den jüdischen Journalisten und Stückeschreiber mit roter Vergangenheit, Peter Sichrovsky, für seine Kohorte gewinnen konnte. Die Freiheitlichen, die wie Le Pens Rassistenpartei aus Frankreich in keine Europafraktion aufgenommen wurden, wollen mit solchen Kandidaten offenbar die Isolation in Straßburg durchbrechen. Spitzenkandidat der Freiheitlichen ist aber der Tiroler Sportwissenschaftler und Fitneßclub-Eigner Franz Linser, der sich als Betreuer der österreichischen Skimannschaft einen Namen gemacht hat. Politisch ist er eher unbedarft. Doch die Linie der Partei versteht er ohne Stocken vorzutragen: die Großparteien hätten sich bei den EU-Beitrittsverhandlungen über den Tisch ziehen lassen. Österreich zahle mehr, als es aus Brüssel zurückbekomme. Daher müßten die Verträge neu verhandelt werden. Die Währungsunion lehnen die Freiheitlichen ab.

EU-kritisch sind auch die Grünen, deren Spitzenkandidat Johannes Voggenhuber vor der Verwirklichung einer Währungsunion eine Sozialunion fordert. 20 Millionen Arbeitslose seien die „Fratze Europas“. Ohne eine Beschäftigungsoffensive würden die sozialen Spannungen – „der Humus des Nationalismus“ – steigen.

Auch die SPÖ, die in Koalition mit der ÖVP regiert, wünscht sich Sozialunion und Beibehaltung der Neutralität. Ihr Spitzenkandidat, der bisherige Wiener Stadtrat Hannes Swoboda, kämpft allerdings mit einem Bekanntheitsdefizit.

Auf bunte Hunde hat die Partei verzichtet. Nicht nur deswegen muß sie fürchten, einen der acht Sitze, den sie derzeit in Straßburg einnimmt, zu verlieren: an Haider oder an die Grünen. Ralf Leonhard