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Sachsen gegen „Kanther-Erlaß“

■ Zu Bagatelltätern gewordene ehemalige Vertragsarbeiter sollen ihr Aufenthaltsrecht verlieren

Berlin (taz) – Sachsens Innenminister Klaus Hardraht (parteilos) verkündete am Freitag, was Ausländerinitiativen seit langem vermuten: Die Regierung des Freistaates beabsichtigt nicht, ehemaligen Vertragsarbeitern aus Vietnam, Angola und Mosambik, die wegen weit zurückliegender Bagatellstraftaten verurteilt wurden, ein Bleiberecht auszusprechen. Dies gestattete Bundesinnenminister Manfred Kanther kürzlich den Ländern. Der „Kanther-Erlaß“, so Hardraht berücksichtige aber nicht die besondere Situation in den neuen Länder. Andere Innenminister der Ostländer sehen dies allerdings anders. In Mecklenburg- Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden diese Bagatelltäter begnadigt, wobei die Auffassungen, was Bagatellstraftaten sind und ab wann sie verjähren, auseinandergehen. Nur im östlichen Teil von Berlin teilt man bislang Hardrahts Auffassung. Innenstaatssekretär Kuno Böse hatte im September vor dem Ausländerausschuß ebenfalls erklärt, er beabsichtige nicht, von dem Kanther-Erlaß Gebrauch zu machen. Da dies nicht nur den Protest der Oppositionsparteien hervorrief, sondern auch beim Koalitionspartner SPD auf Widerspruch stieß, ist es eigentlich nur noch die Frage, wann und wie an der Spree Bagatellstraftäter unter den ehemaligen Vertragsarbeitern ein Bleiberecht erhalten. Für Sachsen sieht der Landtagsabgeordnete André Hahn (PDS) zwar Handlungsbedarf, ist wegen der absoluten CDU-Mehrheit jedoch weniger optimistisch. Ausländerinitiativen kennen sogar Fälle aus Sachsen, wo Vietnamesen wegen Ordnungswidrigkeiten oder fahrlässiger Verkehrsstraftaten ihr Aufenthaltsrecht verloren.

Eine Erweiterung der Bleiberechtsregelung würde auch Zigarettenhändler begünstigen, so Hardraht, und die gehörten in den Bereich der organisierten Kriminalität. Im übrigen, so fährt der Minister fort, sei die sächsische Praxis, bei Vorliegen einer vorsätzlichen Straftat ein Aufenthaltsrecht zu versagen, von der Rechtsprechung des sächsischen Oberverwaltungsgerichts bestätigt. Was er nicht sagt: Das Bundesverwaltungsgericht fällte kürzlich ein Urteil, wonach auch in solchen Fällen Einzelfälle abgewogen werden müssen. Gilt im Freistaat kein Bundesrecht? Marina Mai

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